Herr Abdu fährt durch Kabul

Um noch mehr Geschäfte zu machen, ließ Herr Abdu seine Jobs von andern verrichten. Das störte die AusländerEine Kneipe im Geländewagen? Zur Not kann man den Polizisten ja mit einer Dose Bier bestechen

AUS KABUL ANTJE BAUER

Ein Verkehrspolizist versperrt die Straße. Herr Abdu tritt auf die Bremse, der Wagen kommt knapp vor dem Polizisten zum Stehen. Der macht ein grimmiges Gesicht. Hinter ihm verlässt ein Konvoi das Gelände des Innenministeriums. Ein paar Limousinen mit getönten Scheiben, davor und dahinter Pick-ups, die Ladeflächen voller Männer, die ihre Kalaschnikows drohend in die Umgebung halten. „Blöde Dschihadis“, sagt Herr Abdu. Als der Konvoi weggefahren ist, gibt der Verkehrspolizist die Straße frei, Herr Abdu tritt aufs Gas.

Eigentlich hat er gar nichts gegen die „Dschihadis“, wie die Anhänger der Nordallianz abfällig genannt werden, weil sie den „Dschihad“, den heiligen Krieg, zum Beruf gemacht haben. Seine Familie stand schon immer auf Seiten der Nordallianz. Herr Abdu lässt sich nur nicht gerne aufhalten.

Er rast die Straße entlang, aber weit kommt er nicht: Nach ein paar hundert Metern ist ein Stau. Dutzende Autos verstopfen eine Kreuzung, kein Fahrer will dem anderen die Vorfahrt lassen. „Kabul weekly, Kabul weekly!“ Ein Straßenjunge hat sich bis zu Herrn Abdus Geländewagen vorgearbeitet und hält eine Zeitschrift vor die Windschutzscheibe: Kabul weekly? Nein? Er hebt ein Büchlein hoch: Dann vielleicht einen Stadtplan von Kabul? Auch nicht? Er holt eine weitere Broschüre hervor: Dann vielleicht Les Nouvelles de Kaboul? Oder einen alten Stadtführer? „Eight dollars“, sagt das Straßenkind, „no profit, Mister!“

Neben den Straßenkindern sind auch Bettler an den Kreuzungen der Innenstadt postiert. Und Bettlerinnen. Sie treten den Verkehrspolizisten die Hälfte ihrer Einkünfte ab, heißt es. Herr Abdu gibt einem Kind zehn Afghanis, das sind etwa 20 Cent, und einem bettelnden Mann nichts. Der soll sich eine Arbeit suchen. Er selber rackert sich ja schließlich auch ab und hat es im Leben nicht immer einfach gehabt.

An der Uni sah alles noch ganz rosig aus. Herr Abdu hat Englisch studiert. Doch bevor er das Studium abschließen konnte, kamen die Taliban, und er musste weg. Ein paar Jahre verbrachte Herr Abdu im Iran. Dort arbeitete er auf dem Bau – eine Knochenarbeit, bei der er nichts verdiente, sagt er. Deshalb kehrte er schließlich nach Kabul zurück, gab Englischunterricht und heiratete eine Verwandte. Aber erst seit die Taliban vertrieben sind, geht es aufwärts mit ihm. Tausende Ausländer suchen händeringend Afghanen, die Englisch können und agil sind. Beides trifft auf ihn zu. Außerdem hat er, um seine Chancen weiter zu verbessern, mit etwas Verspätung das Englischdiplom erworben. Käuflich.

Am Anfang lief es deshalb sehr gut: Ausländische Organisationen stellten ihn für verschiedene Tätigkeiten ein. Aber Herr Abdu hatte es zu eilig. Um immer mehr Geschäfte machen zu können, ließ er diese Tätigkeiten öfter mal durch Dritte verrichten. Das mochten die Ausländer nicht, deshalb wurde Herr Abdu immer wieder gefeuert. Das stört ihn allerdings nur bedingt: Irgendwann brauchen sie ihn dann doch wieder. Außerdem hat er noch das Geschäft mit dem Bier.

Der Stau löst sich langsam auf. Herr Abdu versucht, vorwärts zu kommen, wird aber durch Fahrradfahrer behindert, die ihm in die Quere kommen. Herr Abdu zeigt, dass er beim Autofahren dieselbe Technik verfolgt wie beim Geschäftemachen: Er gibt sich Mühe, niemanden umzufahren, sieht aber auch keinen Anlass, irgendjemandem die Vorfahrt zu lassen. Wenn also ein Fahrradfahrer bereits ein Rad vor Herrn Abdus Kühlerhaube geschoben hat, bleibt er gerade noch stehen. Wenn das Rad aber noch einen Zentimeter vom Kotflügel entfernt ist, fährt Herr Abdu los, auch wenn der Fahrradfahrer dann absteigen muss. Er erntet damit nicht nur Zustimmung.

Herr Abdu besitzt nicht nur einen Geländewagen, in dem er Ausländer herumfährt, er sieht auch selber ein bisschen aus wie ein Ausländer. In einem Land, in dem sich Männer wie Frauen in weite Gewänder hüllen, trägt Herr Abdu knallenge T-Shirts mit kurzen Ärmeln, die seine muskulösen Arme noch betonen und seinen Waschbrettbauch nur knapp bedecken. Auf seine kurzen rötlichen Haare setzt er gelegentlich eine Baseballkappe, und beim Gehen winkelt er seitlich die Arme ab wie Popeye, der Spinatmatrose. Nur dass er nicht raucht, aber Popeye würde heute bestimmt auch nicht rauchen.

Die Straße, die aus der Stadt hinaus gen Osten, nach Dschalalabad, führt, wirkt wie die Zufahrtsrampe zu einem Militärhauptquartier. Rechts und links mit Stacheldraht verbarrikadierte Lager der verschiedenen Nato-Truppen. Auch das eigentliche Lager der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) ist weiträumig abgesperrt, Poller sind vor der Einfahrt und Stacheldraht. Die Isaf verfügt über ein Warenlager, ein Objekt der Begierde für alle Ausländer in Kabul und für viele Afghanen, so auch für Herrn Abdu. Von Männerparfüm über Fisherman’s Friend bis hin zu französischen Weinen gibt es hier fast alles. Bezahlt wird in Euro. Herr Abdu kauft Dosenbier, so viel er tragen kann, das Bier ist sein Kapital. Und eine dicke Uhr für 120 Euro. Das hat er sich mal verdient, findet er.

Zurück in die Stadt. Eine Stadt übersäht mit blau-weiß gestreiften Schilderhäuschen, vor denen müde eine Wache sitzt. Irgendwo lehnt meist eine Kalaschnikow in einer Ecke. Wo Ausländer leben, dort gibt es Strom und fließendes Wasser, Telefone und Computer und genug zu essen. Wo Afghanen leben, gibt es meist nichts von alledem. Deshalb stehen vor den Villen der Ausländer Schilderhäuschen, das gibt den Bewohnern ein Gefühl der Sicherheit. Im Hotel Mustafa sitzen die Wachen hinter einem eisernen Gitter und kontrollieren den Zugang zum Hotel und zum Internetcafé. Für drei Dollar die Stunde kann man an staubigen Computern im Netz surfen; hinter einer Bretterwand gibt es eine Bar, in der Ausländer Bier trinken.

Ein Schild weist darauf hin, dass der Ausschank von Alkohol an Afghanen streng verboten ist. Herr Abdu geht zum Surfen in ein Internetcafé in Kheir Khane, seinem Wohnviertel. „Ich gebe dem Besitzer ein Bier, und dann lässt er mich umsonst surfen“, sagt er.

Auch im Hotel Interconti, dem ersten Hotel am Ort, auf einem Hügel außerhalb der Stadt gelegen, gibt es natürlich Internet. Es kostet fünf Dollar die Stunde, weil es das Interconti ist. In feines Tuch gekleidete Westler tippen dort ihre Vorträge in den Computer, und wenn mal wieder der Strom ausfällt und alles schwarz wird, hört man sie im Dunklen fluchen und ihre Nachbarn fragen, ob diese eine Sicherheitskopie des Geschriebenen angelegt hätten. Haben sie natürlich auch nicht.

Draußen hat Herr Abdu in der Zwischenzeit seinen Geländewagen zu einer ambulanten Bierkneipe umfunktioniert: Alle Sitze sind mit älteren Herren belegt, eine Dose Bier in der Hand, eine andere, schon zerknautschte zwischen den Füßen. So eine ambulante Kneipe ist zwar etwas riskant, aber zur Not kann man den Polizisten ja mit einer Dose Bier bestechen.

Neben dieser Art Einzelhandel vertreibt Herr Abdu sein Bier aber vor allem in größeren Mengen an Feinkostläden. Bier ist nicht einfach zu bekommen in Kabul. Herr Abdu nutzt seine Kontakte und sein Auto, und er und die Krämer verdienen gut an der Bückware.

Am Stadtrand gibt es keine Schilderhäuschen mehr, keinen Strom, kein Internet, kein fließend Wasser und zumeist auch nicht genug zu essen. Die Straßen sind unasphaltierte Pisten, und die Frauen tragen noch immer die Burka. Im Verhältnis zwischen Männern und Frauen hat sich nicht viel geändert seit dem Fall der Taliban. Herr Abdu zum Beispiel hat gerade Ärger mit seiner Frau. Sie hat ihn dabei erwischt, wie er mit einer anderen Frau telefonierte. „Sie ist ungebildet und deshalb eifersüchtig“, sagt er abschätzig. Würde er selber es denn akzeptieren, wenn seine Frau mit anderen Männern redete? Herr Abdu wird ein bisschen kleinlaut. Aber wenn ein Mann so was macht, ist das natürlich etwas anderes. Er hat versucht, sie mit Alkohol zu bestechen. „Likör, etwas Süßes, für Frauen“, sagt er. Ein bisschen habe es schon geholfen.

Zurück in die Stadt. Vorbei an Flugzeugfriedhöfen, Panzerfriedhöfen, Autofriedhöfen. Nur die Menschen liegen unter der Erde. Alles andere zerfällt vor aller Augen und erinnert ständig an den Krieg.

Die Sonne ist untergegangen. Die Straßen sind schon wieder verstopft. Herr Abdu fährt auf der Gegenseite, um überholen zu können. Als er an einem graubärtigen Verkehrspolizisten vorbeikommt, ist er nicht schnell genug: Mit seinem Knüppel schlägt der Polizist auf Herrn Abdus Autodach. Es scheppert ziemlich. Nicht daran, dass er auf der linken Seite gefahren sei, habe sich der Polizist gestört, sagt Herr Abdu. „Ich bin auf dem frisch gestrichenen Mittelstreifen gefahren.“ Tatsächlich: Fast blütenweiß schimmert der Mittelstreifen. Lange wird er wohl nicht halten.

Ein paar bis an die Zähne bewaffnete US-Soldaten stehen auf der Straße und blockieren beide Fahrbahnen. Herr Abdu tritt auf die Bremse und bringt den Wagen in respektvollem Abstand zum Stehen. Ein Konvoi biegt in das Gelände der US-Militärs ein, die Soldaten geben die Straße wieder frei. „Blöde Amerikaner“, sagt Herr Abdu und gibt Gas.