Prozess gegen Saddam soll zur Aussöhnung im Irak beitragen

Seit dem Wochenende gilt der verhaftete frühere Diktator offiziell als Kriegsgefangener. Manche fürchten, er werde deswegen nicht mehr an ein irakisches Gericht überstellt

BAGDAD taz ■ Irgendwo im Irak sitzt Saddam Hussein derzeit in einer Zelle und wartet auf seinen Prozess. Wann und wo genau dieser stattfinden wird, steht noch nicht fest. Das Pentagon hat den früheren irakischen Machthaber am Freitag offiziell zum Kriegsgefangenen erklärt. Damit genießt er den Schutz der Genfer Konventionen, die die Ausübung von Zwang verbieten und den Gefangenen nur verpflichten, Angaben zur Person und zum Rang zu machen.

Gemäß den Konventionen könnte Saddam wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor einem Internationalen Tribunal oder einem Gericht des Besatzungsstaates angeklagt werden. Es widerspräche aber nicht den Konventionen, wenn die USA das Verfahren an ein irakisches Gericht überstellen würden, sagte ein IKRK-Sprecher.

Bei einigen Mitgliedern des irakischen Regierungsrats hat die Pentagon-Entscheidung Befürchtungen ausgelöst, die Amerikaner wollten damit die Überstellung des Exdikaktors an das am 10. Dezember vom Rat beschlossene irakische Tribunal hintertreiben. „Ich bin von der Entscheidung überrascht“, sagte Dara Nureddin, ehemaliger Berufungsrichter und Mitglied des Rats. „Wir betrachten Saddam Hussein als Kriminellen, und entsprechend wird er während des Prozesses behandelt.“

Lautstark hatten einige Ratsmitglieder nach Saddams Festnahme am 13. Dezember die Todesstrafe gefordert. Dies ist aber keineswegs Konsens. Die Zahl der Gegner der Todesstrafe wächst. Wie für den Anwalt und Vorsitzenden der Tribunal-Kommission Chadirji steht dabei für viele der Wunsch nach einem unbelasteten Neubeginn im Vordergrund. „In unserem Land wurde viel zu lange viel zu viel gemordet“, sagte Chadirji, der auch Mitglied des Regierungsrats ist. „Gerade deshalb sollten wir den Mut haben, dieses dunkle Kapitel endgültig zu beenden.“

Darüber hinaus soll das Verfahren gegen den Despoten den Beginn des Aussöhnungsprozesses in der irakischen Gesellschaft markieren. Von diesem Gedanken sind auch die geplanten Anklagepunkte getragen. Demnach wird sich die Anklage auf rund ein Dutzend Verbrechen konzentrieren, die das Regime an den ethnischen, religiösen wie sozialen und politischen Gruppen des Zweistromlandes verübt hat. Darunter der Auslöschungsfeldzug „Anfal“ und die Giftgaseinsätze gegen die Kurden im Jahr 1988, die Niederschlagung der schiitischen und kurdischen Aufstände im Frühjahr 1991, die Hinrichtung von Mitgliedern der sunnitischen Duleimi- und Juburi-Stämme nach einem gescheiterten Offiziersputsch Mitte der 90er-Jahre und die Ermordung der angesehenen schiitischen Geistlichen Mohammed Bakr al-Sadr und Mohammed Mohammed Sadik al-Sadr.

An Beweisen für die Straftaten dürfte kein Mangel herrschen. Noch während der Diktatur haben Menschenrechtsgruppen und irakische Oppositionelle in jahrelanger Kleinarbeit Zeugenaussagen und Dokumente für die zahllosen Verbrechen des Regimes zusammengetragen. Seit dem Sturz des Regimes sind Millionen weitere Dokumenten hinzugekommen. Darüber hinaus tragen Bürgerinitiativen derzeit im ganzen Land Aussagen von Opfern zusammen.

Ob der Prozess gegen Saddam aber tatsächlich der erste vor dem Sondertribunal sein wird, wie es viele Iraker wünschen, ist nach dem Pentagon-Entscheid ungewiss. Gemäß den Konventionen müssen Gefangene nach Kriegsende, also nicht vor Abschluss eines formalen Waffenstillstands, ausgeliefert werden. Dazu braucht das Zweistromland eine neue, souveräne Regierung, die es frühestens im Juli geben wird. Solange haben Washington, aber auch der Regierungsrat Zeit, das geplante Tribunal zu schaffen und internationalen Rechtsstandards zu genügen. INGA ROGG