Irans Reform-Abgeordnete im Streik

Die Ablehnung von 2.033 Kandidaten für die Parlamentswahlen durch den Wächterrat wächst sich zu einer politischen Krise aus. Entscheidend wird das Verhalten von Präsident Chatami sein. Bislang versucht er, die Empörten zu beschwichtigen

VON BAHMAN NIRUMAND

Seit Sonntag befinden sich zahlreiche Abgeordnete im iranischen Parlament in einem unbefristeten Streik. Die Islamische Republik scheint wenige Tage vor ihrem fünfundzwanzigsten Gründungstag in die schwerste Krise ihrer Geschichte hineingeraten zu sein. Der Streik ist eine Reaktion auf einen Beschluss des Wächterrates, jenes von den Konservativen beherrschte Gremium, das unter anderem für die Anerkennung von Bewerbern für Parlamentswahlen zuständig ist. Der Rat hatte einen großen Teil der Reformer, die für die Wahlen am 20. Februar kandidiert hatten, von der Teilnahme ausgeschlossen. Wie die iranische Nachrichtenagentur Irna berichtete, wurden von 8.200 Bewerbern 2.033 abgelehnt. Allein in der Hauptstadt Teheran, wo sich 2.050 Kandidaten gemeldet hatten, wurden 1.062 oder 52 Prozent zurückgewiesen. Unter den abgelehnten Kandidaten sind auch über achtzig Abgeordnete, darunter die profiliertesten Köpfe der Reformbewegung.

Den Abgelehnten wurde meist vorgeworfen, den Islam oder die Staatsführung beleidigt, gegen die Interessen des Landes verstoßen oder sich sittlich oder moralisch nicht korrekt verhalten zu haben. Ein Kandidat erklärte, er sei abgelehnt worden, weil er sich glatt rasiert habe.

Dem Streik der von der Ablehnung betroffenen Abgeordneten haben sich inzwischen auch Parlamentarier angeschlossen, deren Kandidatur vom Wächterrat akzeptiert worden ist. Mohammad Resa Chatami, Bruder des Staatspräsidenten und Vorsitzender der Moscharekat-Partei, der größten Partei des Landes, der zu den Abgelehnten gehört, erklärte gestern: „Sollte die Entscheidung nicht zurückgenommen werden, können Wahlen nicht stattfinden. Die Menschen werden sich an der Wahl nicht beteiligen und wir steuern auf einen Wahlboykott zu.“

Das Parlament hat sich inzwischen zu einem Zentrum des Widerstands gegen die Willkürherrschaft der Konservativen verwandelt. Immer mehr Persönlichkeiten und Verbände bekunden ihre Solidarität mit den streikenden Parlamentariern. Nahezu sämtliche Provinzgouverneure sowie einige Mitglieder der Regierung haben mit ihrem Rücktritt gedroht. Das Innenministerium erklärte, es werde unberechtigte Ablehnungen nicht akzeptieren. Die Moscharekat-Partei rief für gestern Abend zu einer Protestversammlung auf.

Staatspräsident Mohammed Chatami versuchte, wie bereits zuvor in ähnlichen Situationen, den Zorn zu beschwichtigen, den die Entscheidung des Wächterrats im ganzen Land hervorgerufen hat. Auch für ihn sei die Entscheidung nicht akzeptabel, sagte er. Er wolle versuchen, in einem Gespräch mit Revolutionsführer Ajatollah Chamenei das Problem zu lösen. Doch nach Aussagen von Vizestaatspräsident Mohammad Ali Abtahi ist dieser Versuch inzwischen gescheitert. Allerdings hat der Wächterrat ein teilweises Einlenken angedeutet. Der Sprecher des zwölfköpfigen Gremiums, Mohammed Dschahromi, sagte, der Rat sei bereit, fristgerechte Beschwerden der von der Wahl ausgeschlossenen Abgeordneten zu prüfen.

Der Druck seitens der Reformer wächst von Tag zu Tag. Alle Aufmerksamkeit ist nun auf Chatami gerichtet. Die Zeit für Kompromisse sei endgültig vorbei, sagte der Parlamentsabgeordnete Chaschajar Deihami. „Wenn Chatami seinen bisherigen Weg fortsetzt, wird er seine Glaubwürdigkeit vollends verlieren.“ In der Tat wird die Frage, wie sich Chatami verhalten wird, immer aktueller. Wird er auch dieses Mal die Willkür in Kauf nehmen oder wird er endlich Widerstand leisten und im Falle der Aufrechterhaltung der Ablehnungen sein Amt niederlegen?