Berufsstand im Abwind

Der Design-Professor Werner Aisslinger im Interview über umtriebige Trendsucher, teures Marketing und eine gezähmte Profession. Wenigstens seine Studenten dürfen sich noch „kreativ verausgaben“

Interview MICHAEL KASISKE

taz: Wie würden Sie Ihre Arbeit als Designer charakterisieren?

Werner Aisslinger: Ich sehe mich als Macher und Umsetzer. Aus eigenem Antrieb Dinge in die Welt zu setzen, unabhängig davon, ob jemand danach fragt oder ob es einen Auftrag gibt.

Mehr als Berater oder mehr als Dienstleister?

Im Studium hat uns Hans „Nick“ Roericht die Entwicklung von konzeptionellen, strategischen Herangehensweisen nahe gebracht. Er wollte Design über die kreative Leistung hinaus als eine beratende Profession etablieren. Doch das stößt im Wirtschaftsleben auf Widerstand.

Auf wessen Widerstand?

Den der Profis aus der Kommunikations- und Marketingbranche. Diese Trendscouts sind die wirklichen Feinde der Designer. Heute beauftragt keine große Firma mehr zuerst einen Designer, sondern lässt sich eine teure Trendstudie erstellen. Und wenn sie dann glauben zu wissen, wie die Produkte von übermorgen aussehen sollen, wollen sie für ein paar Euro einen Designer ins Boot holen.

Das Pferd wird also falsch herum aufgezäumt?

Ja. Nur wenige Firmen begreifen, dass sie in die Entwicklung und das Produkt investieren müssen. Die meisten beschäftigen sich vor allem mit ihrer Marke, bis ihnen auffällt, dass sie die Marktstrategie mit Produkten unterfüttern müssen. Das ist jetzt meine Sicht. Wäre ich Marketingexperte, würde ich wohl sagen, das Produkt ist irrelevant, wenn das Markenbild stimmt.

Wie sind Ihre Erfahrungen in diesem Feld?

Bei Firmen, mit denen ich enger assoziiert bin, sehe ich, wohin die Etats wandern. Es ist erschreckend, wie viel Geld üblicherweise ins Marketing gesteckt wird und wie wenig Geld in der Produktentwicklung ankommt. Dabei müssen die Produkte den Einsatz wieder generieren.

Was bedeutet das für den Beruf des Designers?

Seit den 1970er-Jahren hat der Stellenwert von Design abgenommen. Es ist ein Berufsstand, der, ohne es zu wissen, im Abwind ist. Alle reden zwar von Design, aber nur auf einer oberflächlichen Schiene.

Ihre Möbelentwürfe zeigen die Lust am „Machen“. Sie formen also gern?

Ich würde die Formgebung nicht als Ziel sehen wollen. Machen ist kein manisches Formsuchen, sondern etwas „auf den Weg bringen“. Dass am Schluss eine perfekte Ästhetik entsteht, ist eine Selbstverständlichkeit.

Das gilt vor allem für die Möbel mit den „Gelpolstern“?

Die sind ein positives Beispiel. Ich bin dabei ein unternehmerisches und ein kreatives Risiko eingegangen. Am Schluss hätte es sein können, dass die Prototypen in meiner Wohnung stehen und keinen interessieren. Aber in diesem Fall hat es sich gelohnt, auf eigene Faust ein Projekt zu initiieren. Heute stehen die Produkte in Museen, weil sie hinsichtlich des Materials ein Stück Designgeschichte sind.

Wie haben Sie das Material kennen gelernt?

Das habe ich über Recherchen gefunden. Es kommt aus der Medizintechnik und wird etwa als Auflage für OP-Tische verwendet. In die Designwelt habe ich die Gelpolster jedoch als Erster transformiert.

Experimentieren Sie gern mit Materialien?

Ja. Gab es in den 1980er-Jahren außer dem Holzwerkstoff MDF keine neuen Materialerfindungen, so ist im vergangenen Jahrzehnt viel Neues dazugekommen, ob es Gele sind, Schäume oder Metalle. Mittlerweile gibt es sogar flüssiges Holz.

Geben Sie Ihren Studenten neue Materialien zu Beginn der Seminare vor?

Dort biete ich offene Themen an. Die Studenten können sich überlegen, ob sie dazu ein Produkt machen wollen oder etwa lieber einen Film. Die müssen sich erst einmal kreativ verausgaben. Sozusagen die Sozialisation der ersten zwanzig Jahre, den Input von Kindheit und Jugend in ein Output transformieren. Das Studium ist hier ein Tool, um die Inspirationen des Alltags in eine kreative Leistung zu überführen.

Die Professionalisierung kommt demnach erst nach dem Studium?

Genau. Ich sehe Lehren mehr als Coaching. Heute lernt man als Vierzigjähriger von Zwanzigjährigen, was etwa den Umgang mit Computern und Programmen angeht. Da dreht sich vieles um. Deshalb kann man als Designprofessor nur so eine Art Tippgeber sein.

Was haben Sie auf der Kölner Möbelmesse vorgestellt?

Ich habe bei Interlübke das System „Cube“ gezeigt. Das ist ein anderer Schwerpunkt von mir: ein Baukastenmodulsystem mit Knotenpunkten aneinander zu setzen. Solche Systeme haben viele Vorteile, aber bedeuten auch Mehrkosten. Das erfordert ein Abwägen der Produktionskosten und des Verkaufspreises. Einfach eine Kiste zu verleimen ist für den Hersteller meist günstiger und somit auch für den Verbraucher.

Berücksichtigen Sie die Kosten schon beim Entwerfen?

Natürlich. Die Gesetze von Serienherstellung und Vertrieb müssen eingehalten werden. Der Multiplikator von Herstellungspreis zum Ladenpreis beträgt meistens Faktor vier. Wenn etwas also bezahlbar sein soll, darf es nur 25 Prozent in der Produktion kosten, und davon sind schon wieder 20 Prozent Verpackung. Wenn man das herunterrechnet, dann dürfen die Dinge nicht viel Produktionsaufwand erzeugen.

Bei einigen Produkten auf der Kölner Messe schienen die Kosten keine Rolle zu spielen.

Da werden oft Sachen gezeigt, die unter irrelevanten ökonomischen Bedingungen hergestellt wurden. Schließlich wollen die Firmen auch in der Presse vertreten sein und ihren Innovationswillen beweisen. Dann ist es egal, ob ein Produkt dreimal verkauft wird oder dreißigmal. Der Umsatz wird jedoch meist mit konventionellen Gegenständen erzeugt.

Wie schultern die Firmen das unternehmerische Risiko?

Viele Firmen sind nur noch Agenturen. So funktionieren Konzerne wie Nike, das nur noch ein Marketing-Overhead ist, mit einer unabhängigen Zulieferindustrie irgendwo in Asien. So bleibt das Unternehmen konjunkturell flexibel. Ähnlich arbeiten mittelständische Unternehmen im Bereich Möbel und Design inzwischen auch.