„Ich will Zusammenbruch und Chaos“

Vor zehn Jahren wurde „Radio Fritz“ gegründet. Der Dauertalker des Kultsenders, Jürgen Kuttner, blickt zurück auf frühe Kämpfe, die Poesie des Alltags und die geniale Idee mit der Wollmütze. Zugleich kritisiert er seinen Sender scharf: „Der ORB benimmt sich wie der mieseste kapitalistische Laden“

Interview STEFAN WELLGRAF

taz: Warum ist Fritz besser als andere Berliner Radiosender?

Jürgen Kuttner: Weil ich da beschäftigt bin. Während private Sender vor allem ein Umfeld für Werbung schaffen, gibt es bei den Öffentlich-Rechtlichen zum Teil noch die Erinnerung an so eine Art Programmauftrag, der dann, mehr oder weniger, auch manchmal erfüllt wird. Fritz hat daher den Anspruch, den Leuten nicht nur die Ohren zu zu senden, sondern auch andere Inhalte, andere Lebensgefühle und andere Widersprüchlichkeiten zu transportieren.

Hören Sie eigentlich Fritz?

Das ist vielleicht eine Krankheit der Leute, die im Radio arbeiten, dass man sich das nicht mehr anhören kann. Wenn ich etwas höre, dann Inforadio oder Deutschlandradio. Da bin ich eher informationsorientiert. Die Musik, die ich höre, habe ich sowieso zu Hause.

Was für Musik interessiert Sie denn?

Für meine Sendung interessiert mich vor allem bedrohte Musik. Damit meine ich eigentümliche, seltsame und nicht mehrheitsfähige Musik. Die aktuelle Musik interessiert mich im Moment überhaupt nicht. Es gibt ja eine Explosion in der Vervielfältigung guter Musik. Wenn man kein Sammler ist oder sich den ganzen Tag darum kümmert, kann man da gar nicht mehr mithalten.

Was war Ihrer Meinung nach die lustigste Fritz-Aktion?

Fritz war immer stark, wenn sie über die Dörfer zogen.

In welchem Moment haben Sie sich am meisten über Fritz geärgert?

Ich ärgere mich immer dann, wenn so eine Art Erfolgstrunkenheit einsetzt. Man hat was gemacht, was Erfolg hatte, und will dies dann verlängern. Mein Interesse an der Arbeit geht eher dahin, zu experimentieren, Sachen auszuprobieren.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Fritz verkomme immer mehr zum Mainstream?

Früher war es anders, aber nicht unbedingt besser. Ein bisschen stimmt aber der Vorwurf. Fritz startete aus einer bestimmten Nischen- und Konfliktsituation, dem Ost-West-Konflikt, der im Programm mit einer gewissen Unbedachtheit ausgehandelt wurde. Inzwischen haben sich die vielen Radiostationen einander angenähert. Hat man irgendwann mehr als 100.000 Hörer, achtet man halt vor allem auf die Mehrheit. Mich interessieren aber vor allem die Nischen.

Haben Sie eine Idee, warum die Fritz-Wollmütze so bekannt geworden ist?

Weil es alles andere als eine klassische Marketingidee war, sondern einfach ein genialer Einfall eines hoch begnadeten und witzigen Kollegen: Uwe Wassermann. Er hatte einen großartigen Sinn für seltsam schrägen Humor, und von ihm kam die Idee vom Sender mit der Wollmütze. Lustigerweise wurde ihm dies zuerst verboten. Es galt als uncool, bis sich irgendwann herausstellte, dass es funktioniert. Danach hat man klassich marketingmäßig auf die Wollmütze gesetzt. Das ist auch das, was mich an Fritz interessiert, dass sich seltsame Leute mit seltsamen Ideen durchsetzen können.

Fritz entstand aus einer Zusammenführung von Rockradio B aus dem Osten und Radio 4U aus dem Westen. Wie funktionierte die Wiedervereinigung am Beispiel dieses Radiosenders?

Wie die Wiedervereinigung überall so funktionierte. Man hat sich in die Fresse gehauen und irgendwie doch zusammengearbeitet. Merkwürdigerweise entstand dabei ein interessantes Spannungsfeld, und in den guten Momenten hat sich dies auch im Programm widergespiegelt. Fritz gelang es, Realität darzustellen: das eigentümliche Kennenlernen, das Verliebtsein ineinander, dass Einander-Hassen, die Vorurteile – das alles fand im Radio statt. Das war zu dieser Zeit in der Berliner Radiolandschaft einzigartig.

Medien haben auch eine Integrations- und Sozialisierungsfunktion. Was war in diesem Sinne die spezielle Fritzleistung?

Fritz war der erste deutlich kommunikationsorientierte Radiosender, der versuchte, die Hörer wirklich in das Programm einzubinden. Fritz gelang es, den Ost-West-Konflikt der 90er-Jahre abzubilden und zu gestalten. Der Sender konnte so in einer eigentümlichen Umbruchszeit zu einem Ort der Identifikation werden.

Sie reden in Ihrer Sendung Sprechfunk stundenlang über die Probleme des Alltags. Was ist für Sie die Poesie des Alltags – und warum haben Sie sich diese thematische Ausrichtung ausgesucht?

Ich wollte Gesprächsformen vermeiden, in denen die Muster und Strukturen schon zu klar sind. In Gesprächen über Politik beispielsweise werden vor allem angelesene Sachen weitergegeben. Das fand ich langweilig. Mich interessiert die Idee, Alltag und das Fürsichselbstsein als etwas Fremdes zu begreifen. Unsere kleinen Kriege und Konflikte im Alltag, da müssen wir uns jeden Tag beweisen. Dafür wollte ich Bewusstsein schaffen. Damit versuchte ich, einen entlasteten, entideologisierten und distanzierten Blick zu sich selbst herstellen. Das war die Utopie, aber das erreicht man vielleicht in zwei, drei Sendungen im Jahr.

Sie sagten einmal, Sie hätten es bei Ihren Hörern die erste Dreiviertelstunde mit debilen Idioten zu tun. Könnten Sie das vielleicht etwas näher erläutern?

Na ja, dass stimmt so natürlich auch nicht. Was ich damit sagen wollte, ist, dass Kommunikation in den Medien in den letzten Jahren an Niveau verloren hat. Es gibt halt viele Selbstdarstellungsjunkies, die sich einfach gern im Radio hören wollen und selber nur Scheiße labern. Da gibt es bei mir natürlich auch manchmal Momente von Wut und Verzweiflung.

Eine Dienstanweisung des ORB besagt, dass freie Mitarbeiter nicht länger als 10 Jahre bei Fritz arbeiten dürfen. Fritz-Moderatoren wie Mike Lehmann droht nun die Entlassung. Wie beurteilen Sie diese Hauspolitik?

Ich halte das für einen widerlichen Widerspruch. Auf der einen Seite arbeitet man in einer Institution, die fast noch eine DDR-Utopie ist. Man hat es mit komplett fest angestellten Leuten zu tun, die Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt und jedes Jahr eine Gehaltserhöhung bekommen. Es ist nach innen fast ein sozialistischer Betrieb, der aber nach außen alle Eindringlinge aggressiv abwehrt. So kommt es zu solchen Regelungen. Ich finde es skandalös und schäme mich dafür, dass die Kollegen, die den Sender aufgebaut haben, die ihm ein Gesicht gegeben haben, jetzt aus Angst vor einer Festanstellung gnadenlos rausgeschmissen werden. Es ist Abscheu erregend: Der ORB benimmt sich wie der mieseste kapitalistische Laden.

Fritz zielt immer mehr auf ein jüngeres Publikum. Wie finden Sie diese Entwicklung?

Das ist eine Entscheidung des Senders. Ich weiß nicht, ob das nun richtig oder falsch ist. Mir ist wichtig, dass meine Sendung gut funktioniert und es mir Spaß macht.

Was wünschen Sie dem Radio Fritz zum 10. Geburtstag?

Eine Revolution, Zusammenbruch oder Chaos. Es ist das Problem von Institutionen, dass sie irgendwann an Selbstregulierung ersticken. Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Auch die eigentlich zu begrüßende Professionalisierung kann, wenn sie nur noch zu Mittelmaß führt, problematisch sein. Ich wünsche mir deshalb eine Explosion, und dass man alles noch einmal neu zusammensetzen muss.