„Geheilt sind wir noch lange nicht“

Gespräch mit Eduard Geyer, Trainer von Energie Cottbus, über die wundersame Auferstehung seiner Mannschaft in der Bundesliga

Interview FRANK KETTERER
und MARKUS VÖLKER

taz: Herr Geyer, werden Sie heute Nachmittag Franz Beckenbauer Ihren Dank aussprechen?

Eduard Geyer: Warum sollte ich?

Er hat Energie Cottbus als hoffnungslosen Fall bezeichnet und damit vielleicht angestachelt zur bisher so furiosen Rückrunde!

Ach was! Für mich ist Beckenbauer kein Thema. Außerdem sprachen die Fakten ja wirklich gegen uns. Wir lagen auf der Intensivstation. Da wird man entsprechend diagnostiziert.

Auf der Intensivstation muss es zu einer wundersamen Heilung gekommen sein.

Von Wunder kann keine Rede sein. Und geheilt sind wir noch lange nicht. Wir sind erst mal aus dem Zimmer raus, wo die hoffnungslosen Fälle liegen, aber wir stehen immer noch auf einem Abstiegsplatz.

Wie haben Sie den Genesungsprozess eingeleitet?

Wir haben die Trainingsinhalte verändert. Intensität und Umfang sind zwar gleich geblieben, durch die Umstellung des Spielsystems aber wollten wird den Spielern neue Motivation geben.

Das heißt?

Wir haben versucht, die Spieler dazu zu bringen, sich mehr mit Fußball zu beschäftigen und untereinander mehr zu kommunizieren.

Und dazu haben Sie die Viererkette eingeführt, über deren Entstehung es die unterschiedlichsten Gerüchte gibt. Eines behauptet, die Spieler hätten Sie überreden müssen.

Das können nur Journalisten schreiben, die weit weg vom Schuss sind und keine Ahnung haben. Denen würde ich sofort die Lizenz zum Schreiben entziehen. Wenn man nur zehn Punkte gesammelt und die meisten Tore kassiert hat, macht sich der Trainerstab natürlich Gedanken. Da musst du was verändern. Du kannst ja nicht so weiterdümpeln. Dennoch halte ich von der ganzen Systemdiskussion wenig. Ob wir nun mit oder ohne Libero spielen, ist doch eigentlich egal.

Andererseits ist Cottbus durch das neue System unberechenbarer geworden. Die Mannschaft spielt schneller von hinten heraus, ist viel dynamischer und verschleppt nicht mehr so oft das Tempo.

Wir haben vor der Winterpause anders gespielt, ja. Aber das ist nicht nur eine Systemfrage, sondern auch die Frage, wie ich meine Arbeit als Spieler verrichte. Als Spieler habe ich Aufgaben im Offensiv- wie Defensivbereich. Ich muss Zweikämpfe gewinnen, ich muss Pässe spielen, ich muss Fehler von anderen ausbügeln und so weiter. Das System hat für mich da eine untergeordnete Rolle. System hat für mich etwas damit zu tun, dass man die Spieler ordentlich auf dem Platz verteilt und dort, wo der Ball runterfällt, möglichst auch ein Spieler steht. Natürlich muss ein Grundschema erkennbar sein, aber das wahre Fußballspiel machen noch immer andere Dinge aus. Willen zum Beispiel.

Hat es der Mannschaft vorher daran gefehlt?

Nein, das hat es nicht. Aber wir haben Gegentore kassiert, bei denen man den Eindruck gewinnen musste, dass viele Spieler nicht bundesligatauglich sind. Wir haben auch jetzt noch eine Mannschaft, von der man keine Wunderdinge erwarten kann. Was man aber erwarten darf, ist, dass die Spieler sich einsetzen, dass sie konzentriert spielen, dass sie für ihren Beruf leben. Das war zuletzt nicht immer so. Wir hatten zu viel Ungereimtheiten im Kader, der zudem auch noch viel zu groß war. Deshalb haben wir ihn ja ausgedünnt.

Mit Erfolg.

Wir haben dreizehn Punkte aus fünf Rückrundenspielen gesammelt – und wir sind alle enger zusammengerückt.

Nach dem Motto: Zurück zu den alten Energie-Tugenden!

Wir konnten uns nie große Stars leisten. Wir müssen über Kampf, Einsatz und Willen versuchen, ein bissel was zu bewegen. Schauen Sie sich doch nur unseren Etat an. Wir haben immer noch keinen richtigen Trainingsplatz. Und es werden auch in den nächsten Jahren keine Sponsoren auftauchen, die uns so unter die Arme greifen, dass wir ganz nach oben kommen.

Ohne Willen und intakten Teamgeist geht also bei Energie gar nichts?

Genau. Es müssen alle Bereiche extrem miteinander verzahnt sein. Es muss wie in einem kleinen Familienbetrieb funktionieren.

Dann war in der Hinrunde der Familienfrieden gestört?

So könnte man das sagen.

Es ist erstaunlich, dass Energie just in dem Moment zu gewinnen begann, als die Probleme am größten und die vermeintlich besten Spieler wie Miriuta, Akrapovic und Kaluzny aussortiert waren.

Wir hätten eigentlich schon im Sommer reagieren müssen. Jetzt aber musste einfach etwas passieren.

Inwieweit war Ihnen klar, dass das Erfolg bringen würde?

Überhaupt nicht. Fußball kann man nicht planen. Wenn ich den Spielern vor dem Spiel erzähle, dass sie dies oder jenes tun müssen, um zu gewinnen, und dann kassieren wir in der 90. Minute ein entscheidendes Tor, dann habe ich das ja auch nicht geplant. Man kann aber auch den Trott nicht zulassen: Wenn du merkst, du verlierst ständig und machst trotzdem alles akkurat, dann musst du dir als Trainer einfach etwas Neues einfallen lassen. Auch ohne vorher zu wissen, ob es hilft.

Ausgerechnet im Dezember, als die Lage am hoffnungslosesten schien, haben Sie Ihren Vertrag verlängert. Warum?

Ich habe die Lage realistisch eingeschätzt. Und ich sage nach wie vor: In dieser Region den bezahlten Fußball zu erhalten ist ein großes Projekt. Wenn man als Cottbuser zu den 36 deutschen Profivereinen gehört, ist das eine reife Leistung. Wir müssen den Fans immer wieder erklären, dass die Erste Liga ein Geschenk ist – und Fluch zugleich.

Wieso Fluch?

Das ständige Herumkrebsen am Tabellenende und der ewige Abstiegskampf zehren über die Maßen aus. Wenn man immer am Limit spielt, ist das nicht leicht.

Weil es zu viele Kräfte verbraucht?

Ich würde mich auch gerne mal zurücklehnen. Aber das geht hier nicht. Du musst immer hellwach sein wie ein Indianer. Du musst jede Strömung in der Mannschaft erkennen und bewerten. Wir haben hier besondere Bedingungen. Wir können uns nicht mit anderen vergleichen.

Wieso haben Sie sich erneut auf diese besonderen Bedingungen eingelassen?

Es liegt daran, dass man in den neun Jahren, die ich hier bin, etwas geschaffen hat. Das wirft man nicht leichtfertig weg.

Ist Cottbus Ihr Lebenswerk?

Es ist eine lange Passage in meiner Biografie.

Was wäre Energie ohne Sie?

Das müssen Sie andere fragen.

Was wären Sie ohne Energie?

Wenn ein Trainer irgendwo antritt, dann muss er so arbeiten, dass er deutliche Spuren hinterlässt. Das habe ich in Cottbus. Ich werde den meisten Menschen hier in Erinnerung bleiben.

Als was?

Als einer, der mit wenig Mitteln viel bewegt hat. Jedes Jahr kämpfen wir mit einem Schwert gegen Panzer. Ständig muss ich mir etwas Neues einfallen lassen, damit der Verein Erfolg hat. Das kostet Kraft. Deshalb habe ich tatsächlich daran gedacht, nach 2003 nicht mehr zu verlängern. Aber es ist anders gekommen.

Weil Sie ein Ausstieg zum Saisonende als Fahnenflucht empfunden hätten?

Das wäre keine Fahnenflucht gewesen, sondern einfach eine Entscheidung –über meine Arbeit und über meine Gesundheit. Wenn ich im Dezember zurückgetreten wäre, dann hätte man vielleicht von Fahnenflucht reden können. Ich bin ja der Kapitän und kann nicht einfach so das Schiff verlassen, schon gar nicht, wenn uns Männern das Wasser bis zum Hals steht. Aber nach der Saison aufzuhören, da wäre nichts Falsches dran gewesen. Zumal ich schon im Kopf hatte, auch mal was anderes zu machen.

Nämlich?

Trainer, natürlich. Aber nicht hier. Es muss ja nicht immer Cottbus sein. Wenn du neun Jahre irgendwo Trainer bist, machst du dir darüber schon Gedanken.

Weil man sich das Image eingehandelt hat: Der kann’s nur dort? Wie sehr reizt es Sie, das Gegenteil zu beweisen und etwas Neues aufzubauen?

Es muss ja nicht immer darum gehen, etwas aufzubauen. Ich könnte ja auch mal eine Mannschaft und einen Verein bekommen, die schon ausgereift sind. Oder es flattert ein interessantes Auslandsangebot ins Haus. Andererseits sollte man auch nicht einfach das wegwerfen, was man sicher in der Hand hat. Zumal ich von Haus aus ein bodenständiger Mensch bin. Ich war 23 Jahre bei Dynamo Dresden, davor bei Einheit Dresden. Im Prinzip hatte ich nur zwei Vereine, als Spieler wie als Trainer, zumindest vor der Wende. Und jetzt bin ich seit neun Jahren in Cottbus. Mag sein, dass das von außen manchmal so aussieht, als sei ich darauf festgelegt. Ich sehe das aber anders.

Kann man sagen, dass Sie eher ein Trainer sind, der das Umfeld prägt, als dass er sich vom Umfeld prägen lässt?

Ich muss Fußball machen können, wie ich ihn mir vorstelle. Aber ich bin dabei natürlich auch in einen bestimmten Rahmen gezwängt.

In welchen?

Ich kann ja beispielsweise vom Präsidium nicht den Kauf von Spielern fordern, wenn sich der Verein die nicht leisten kann, sondern ich muss mit denen auskommen, die bezahlbar sind. Und wenn das Präsidium an die Spieler herantritt und sagt: Passt auf, ihr müsst auf ein Monatsgehalt verzichten, um das finanzielle Überleben zu sichern, dann muss ich als Trainer versuchen, die Spieler davon zu überzeugen. Und ich muss in den gleichen sauren Apfel beißen.

Was wäre Ihre Idealvorstellung von Fußball?

Dass der Verein viel Geld hat, ein Stadion, das immer mit 40.000 Zuschauern ausverkauft ist, und ein paar Stars, die darin spielen. Aber das sind Wunschvorstellungen. Um die muss ich mich nicht kümmern.

Andererseits zieht Cottbus nach wie vor Kraft aus dem Bewusstsein, ein gallisches Dorf zu sein, das tapfer einer Übermacht trotzt.

Sie haben da insofern Recht, als wir in den letzten Wochen mal wieder deutschlandweit viele Sympathien gesammelt haben, trotz unserer beschissenen Situation. Aber wenn es unglücklich läuft, steigen wir dennoch ab. Das kann immer noch passieren.

Und was muss passieren, damit sie heute gegen die Bayern gewinnen?

Wir dürfen keine Hemmungen haben. Wir müssen mutig sein. Wir dürfen im Aufbauspiel nur ganz wenig Fehler machen, damit wir nicht von den Kontern erschlagen werden. Wir müssen eigentlich 90 Minuten lang alles richtig machen, um bestehen zu können.