Sportliche Verächterin der Stars and Stripes

Weil sie dem Sternenbanner den Respekt verweigert, erlangt die Basketballerin Toni Smith landesweit Berühmtheit

Die Basketballerinnen von der U.S. Merchant Marine Academy durften kürzlich eine überaus ungewohnte Erfahrung machen: Sie hatten einen ganzen Haufen Zuschauer. Allerdings waren die 300 Seeleute, welche die Ränge der Halle besetzten, nicht gekommen, um die spielerischen Leistungen des College-Teams der 3. Division zu bestaunen, sondern wegen einer Spielerin des Gegners. Toni Smith von Manhattanville, einer kleinen Kunstschule am Rande von New York City, pflegt nämlich beim Abspielen der Nationalhymne dem Star Spangled Banner den Rücken zu kehren. Das tut sie seit Saisonbeginn, doch erst der Protest der patriotischen Marines verschaffte ihr landesweite Berühmtheit.

Mit „USA, USA“-Rufen quittierten diese jede Ballberührung der Spielerin und forderten sie in Sprechchören auf, das Land zu verlassen. Seither kann sich Manhattanville über Publikumszuspruch vor allem auswärts kaum beklagen. Beim Match am Mount St. Mary College schwenkten 500 Zuschauer kleine Fähnchen, für deren Beschaffung die Studentenvertretung mehr als hundert Dollar ausgegeben hatte, und sangen am Ende „God Bless America“. Selbst beim letzten Heimspiel lief ein 56-jähriger Vietnamveteran auf den Platz und hielt der von vielen Zuschauern unterstützten Fahnenflüchtigen ein Sternenbanner vor die Nase.

Toni Smith, die sich im letzten Jahr ihrer College-Ausbildung befindet, ist der plötzliche Wirbel um ihren stillen Protest ein wenig peinlich, wenn auch nicht allzu sehr. „Ich habe das nie als öffentliches Statement geplant“, teilte sie in einer schriftlichen Erklärung mit. Es sei ihr einfach nicht möglich, die Flagge zu grüßen, „angesichts der Ungleichheiten, die dem amerikanischen System innewohnen, und des Krieges, den Amerika bald führen wird“. Interviews lehnt die Studentin, die für die Sängerin Lauryn Hill schwärmt und deren Lieblingsfilm „Days of Thunder“, das Rennfahrerdrama mit Tom Cruise, ist, konsequent ab.

Der Protest von Toni Smith hat in der Öffentlichkeit eine Kontroverse über Free Speech ausgelöst. Widerstand gegen den Krieg sei ja okay, doch die Flagge stünde schließlich für ganz andere Werte, ist eine oft geäußerte Meinung. Derartige Manifestationen hätten auf dem Sportplatz nichts zu suchen, lautet eine andere Kritik. Für Richard Berman, den Präsidenten des Manhattanville College, ist der Fall jedoch klar. Er unterstützt seine Studentin bedingungslos: „Was sie tut, ist mutig und schwierig. In dieser Gemeinschaft respektieren wir unsere jeweiligen Ansichten, auch wenn wir sie nicht teilen.“

Vor acht Jahren hatte der muslimische NBA-Basketballer Mahmoud Abdul-Rauf, damals bei den Denver Nuggets, aus religiösen Gründen den üblichen Flaggengruß verweigert und war von der Liga für unbestimmte Zeit gesperrt worden. Nach heftigen Protesten musste die Strafe jedoch umgehend zurück genommen werden. Berühmter wurde der Black-Power-Gruß der schwarzen 200-m-Medaillengewinner Tommy Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexico City. Die Sprinter wurden tatsächlich gesperrt, ihre Karrieren waren praktisch beendet.

Noch nicht beendet ist die Karriere von Toni Smith im Basketball-Team von Manhattanville. Die „Valiants“ schlossen die reguläre Saison mit 17:10 Siegen ab und qualifizierten sich für die Märzturniere. MATTI LIESKE