frisches flimmern: In zwei Deutschländern
Es geht um Blicke. Um Einblicke, Seitenblicke. Um Sichtweisen, Perspektiven und Sehgewohnheiten. Robert (Jochen Nickel) stolpert sich hölzern und linkisch mit Selbstgesprächen in den Film – wie ein Schauspieler, der zunächst einen schlechten Schauspieler spielt. „Schaun wir uns das mal an“, sagt er Christiane (Anna Loos). Die Ostfrau in Sachsen ist die weibliche Hauptdarstellerin. Ihr erster Satz: „Mal sehen!“ Die beiden sind Optiker. Robert, der per Unimog mit Bauwagen-Anhänger aus Köln vor den Erinnerungen an seine verstorbene Frau flieht, stellt Münzfernrohre auf und zoomt sich durch die Zone. Christiane wartet Passfoto-Automaten. Sie plant einen Einbruch, mit Hilfe eines Staubsaugers. „Man sieht immer das, was man sehen will“, sagt sie.
Natürlich verlieben sich die beiden. Aber nach der ersten Nacht haben sich sich zunächst wieder verloren, als er Brötchen holen geht und dann in der monströsen Plattenbausiedlung ihre Wohnung nicht wieder findet. Da wird der Ossi im Kino mehr lachen als der Wessi. Leo (Axel Prahl) ist Roberts Freund mit Gewichtsproblemen: „Du musst dich mehr bewegen und nicht so viel herumsitzen“, rät ihm Robert wunderbar unkorrekt – Leo ist Rollstuhlfahrer.
NeuFundLand ist ein vielfach anspielungsreicher Film und trotzdem voller Leichtigkeit. Regisseur Georg Maas sucht nach der Wahrnehmung von „Fremdheit im scheinbar Vertrauten“. So sieht sich Robert mit dem konfrontiert, wovon er wegrennt. Denn Christiane betört ihn, weil sie fatal an seine Ex erinnert. Christiane ahnt lange nichts von der virtuellen Dreiecksgeschichte in Doppeldeutschland. „Guck mich nicht an wie ein Gespenst“, strahlt sie ihn verliebt an. Soll heißen: Guck weiter so!
Der preisgekrönte Film (Geneva Europe Grand Prix 2003 der EBU) schenkt uns originelle Einblicke und fremdartige Perspektiven durch Fotoautomaten und Fernrohre: auf menschliche Posen und die wundervolle Weite der sächsischen Schweiz, auf vergilbte Fotos und den schnöden Braunkohletagebau. Sogar der Staubsauger hat eine eigene Spionage-Optik. Der Einbruch gelingt. Schlussszene Flughafen. „Wenn sie sich jetzt noch mal umdreht, wird alles gut“, sagt ein Passant zu Robert. Sie dreht sich, und ihr letzter zauberhafter Blick, im warmen Licht untermalt von der fesselnden Filmmusik, macht leicht das Auge der Zuschauer feucht. BERND MÜLLENDER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen