„Krisen sind die beste Chance“

Der Ökonom und Stadtplaner Martin Gornig sieht durch die Finanzkrise Veränderungen auf die Stadtentwicklung zukommen. Die Politik werde mehr steuern und regulieren müssen als bisher, wenn die Investoren sich zurückhalten

taz: Herr Gornig, man hat den Eindruck, in den letzten Jahren haben große Finanzinvestoren in der Stadt tun und lassen können, was sie wollten. Ist mit der Finanzkrise jetzt erst mal ein Ende des Baubooms gekommen?

Gornig: Es ist eine klare Zäsur, die sich schon seit einigen Jahren angedeutet hat. So konnte es nicht weitergehen. Möglicherweise wird die starke Stellung von Großinvestoren geschwächt.

Vielleicht zugunsten von den kleinen?

Man kann sich in der Tat vorstellen, dass jetzt kleinteiligere Projekte und kleinere Objekte verwirklicht werden, bei denen die Nutzer mehr selbst entscheiden – eine Art interne Selbstbestimmung.

Welche Rolle nimmt der Staat ein in den neuen Verhältnissen?

Er tritt wieder als großer Player auf die Bühne. Bisher gingen Großprojekte einschließlich der Planung an Investoren, das führte zu großen Einheiten – siehe Friedrichstraße. Jetzt wird sich der Senat selbst darum kümmern müssen.

Ist das gut oder schlecht?

Für die Verwaltung wird es mühsam – es dürfte zum Beispiel schon ein Problem sein, fachlich geeignete Leute zu finden. Ob die sich darauf freuen, da bin ich mir nicht sicher. Die Projekte umzusetzen, wird höchstwahrscheinlich langwieriger. Und die Verwaltung steht stärker unter Kontrolle der Öffentlichkeit: Die Bürger werden genau schauen, was mit den Mitteln gemacht wird. Außerdem kommt nicht mehr so viel Geld in die Stadt.

Das sind ja tolle Aussichten für Berlin.

Immerhin kann sich die Stadt richtig freuen, weil es hier sowieso kaum noch Arbeitsplätze im Finanzsektor gab. Mittelfristig könnte Berlin sogar profitieren von den Schwierigkeiten; denn Finanzzentren wie Frankfurt am Main oder München sind weitaus stärker betroffen. Berlin könnte im Konkurrenzkampf der Städte an Bedeutung gewinnen. Mehr Staat und weniger Bankenmacht müsste eigentlich der Hauptstadt zugute kommen.

Und was passiert jetzt mit den großen Bauinvestitionen?

Was Berlin als Standort von Büroimmobilien betrifft, so war die Stadt über Jahre eindeutig überbewertet. Das Kosten- und Preisniveau der Anbieter war weit höher als die Zahlungsbereitschaft der Berliner Nachfrage. Große Gewerbeeinheiten wie an der Friedrichstraße blieben lange ungenutzt. Die Krise kann eine reinigende Wirkung haben: Denn Unternehmen gehen Pleite, und danach kann man auf geringerem Kostenniveau neu anfangen. Krisen sind für die Marktwirtschaft im Grunde genommen auch die beste Chance für einen erfolgreichen Neuanfang.

INTERVIEW: KRISTINA PEZZEI,
GRIT WEIRAUCH