Lindh-Attentäter vor Gericht

Angeklagter Mijailovic bestreitet Tötungsabsicht: Innere Stimme trieb ihn zum Angriff. Verteidigung fordert Untersuchung zur Schuldfähigkeit des Angeklagten

STOCKHOLM taz ■ Vier Monate nach der Tat begann gestern der Prozess gegen den Mörder der schwedischen Außenministerin Anna Lindh. Unbekannte Details enthielt die Mordanklage nicht. Sie wirft dem Angeklagten Mijailo Mijailovic vor, Lindh am Nachmittag des 10. September in einem Stockholmer Kaufhaus unter Tötungsvorsatz mit einem Messer angegriffen zu haben.

Das Videomaterial zur Untermauerung der These, Mijailovic habe Lindh eine längere Zeit beobachtet und verfolgt, zeigt einen augenscheinlich suchend oder abwartend sich zwischen verschiedenen Teilen des Kaufhaus hin- und herbewegenden Angeklagten. Hieraus könne aber – so sein Verteidiger Peter Althin – nicht zwingend auf eine Beobachtung der Außenministerin durch Mijailovic geschlossen werden. Dieser habe seine innere Unruhe bekämpfen wollen und unter der Wirkung verschiedener Medikamente gestanden. Das erkläre im Zusammenhang mit seinem angegriffenen psychischen Zustand sein zielloses Bewegungsmuster und auch die Brutalität, mit der er sich auf die Außenministerin gestürzt und auf sie eingestochen habe.

Hierzu verhört, wiederholte Mijailovic seine schon gegenüber der Polizei abgegebene Erklärung: In dem Augenblick, in dem er Lindh erkannt habe, hätte ihm eine innere Stimme den Befehl gegeben, zuzustechen. Er bestritt aber eine Tötungsabsicht. Er habe nichts gegen Anna Lindh gehabt, auf keinen bestimmten Körperteil gezielt und es tue ihm Leid: „Ich habe die ganze Nacht danach gehofft, dass sie nicht stirbt.“

Nach der Tat habe er erst das blutige Messer weggeworfen und später seine Kappe in einen Papierkorb gesteckt. Bevor er ein Taxi nach Hause nahm, versuchte er sich noch in einem Friseurgeschäft die Haare schneiden zu lassen. Vergeblich, der Friseur hatte keine Zeit. Ein erstaunlich logisches Vorgehen angesichts der von der Verteidigung für den Tatzeitpunkt behaupteten psychischen und medikamentösen Belastung, was das Gericht durch seine Fragen auch zum Ausdruck brachte. Eine Glaubwürdigkeitsfrage, die vermutlich erst im Rahmen der rechtspsychiatrischen Untersuchung über Mijailovic’ Schuldfähigkeit geklärt werden kann, die die Verteidigung bereits angekündigt hat.

Mijailovic hatte die Tat vergangene Woche überraschend gestanden. Wegen des Geständnisses wird der Prozess voraussichtlich nur wenige Sitzungen dauern. Lindhs Freundin, die bei der Attacke dabei war, soll heute als Zeugin aussagen. Am Montag tragen Anklage und Verteidigung ihre Plädoyers vor. Mijailovic droht eine lebenslange Haftstrafe. In Schweden gilt diese in der Regel nach 15 Jahren als abgegolten. Vor seinem Urteil könnte das Gericht jedoch noch eine ausführlich psychiatrische Untersuchung des Angeklagten anordnen. Je nach dem Ergebnis könnte er statt ins Gefängnis in eine psychiatrische Anstalt überwiesen werden. REINHARD WOLFF