Polnischer Quark auf der Schwelle nach Europa

Ab dem 1. Mai gehört Polen zur EU. Spätestens dann müssen Lebensmittelexporteure europäische Normen erfüllen, selbst beim Neigungswinkel von Fensterbrettern. Der Molkereibetrieb „Jana“ bei Poznań glaubt sich für Europa gerüstet – und wirbt auf der Grünen Woche um deutsche Abnehmer

VON ANNA LEHMANN

Auf einem schwarzen Chefsessel sitzt Frau Direktor und telefoniert. Es geht um einen Empfang mit dem polnischen Botschafter in Berlin zum Auftakt der Grünen Woche. Sie dreht die Einladung in den Fingern und schaut zum Fenster hinaus. Maria Czwojdrak leitet den Molkereibetrieb „Jana“ im polnischen Środa, ein mittleres Unternehmen mit 230 Angestellten. Das Städtchen Środa liegt, eingebettet in Gewerbegebiete, eine halbe Autostunde östlich von Poznań.

Aus dem Fenster der Geschäftsleitung fällt der Blick auf die alten Gebäude der über hundertjährigen Molkereigenossenschaft. In den gelben Steinbauten wird seit 1910 Frischkäse hergestellt. Frau Direktor zeigt nach draußen: „Von außen sieht alles noch so aus wie vor hundert Jahren.“ Dagegen weist das Innere in die Zukunft. Die Produktion wurde im Hinblick auf den 1. Mai 2004, den Tag des polnischen Beitritts in die EU, umgerüstet. „Wir sind gut vorbereitet“, glaubt Czwojdrak. Ab Mai müssen die Erzeugnisse polnischer Exportunternehmen den EU-Anforderungen entsprechen. Anderenfalls dürfen die Hersteller ausschließlich für den heimischen Verbraucher produzieren. Doch der europäische Markt wird durch strenge Auflagen aus Brüssel reglementiert, die durch die Erweiterung nicht aufgeweicht werden. Im Molkereisektor gelten strenge Hygienevorschriften, die die Anzahl der zulässigen Bakterien pro Liter Milch ebenso vorschreiben wie den Neigungswinkel der Fensterbretter in der Produktionshalle.

Vor drei Jahren erfüllte nur ein Zehntel der 350 polnischen Molkereibetriebe diese Normen: die so genannten A-Betriebe. Die Mehrzahl der Molkereien, als B-Klasse eingestuft, kündigte an, bis spätestens 2006 nachzurüsten. Das restliche Viertel, das unter C läuft, erklärt zum ersten Mai den Bankrott. „Die Kosten für die Umstellung sind gewaltig“, sagt Maria Czwojdrak und hebt die schweren Arme. Sie arbeitet seit über 20 Jahren in der Molkerei und hat erlebt, wie sich der Betrieb im Wandel der Zeit veränderte. In den 90er-Jahren wurde die Produktpalette um dutzende Joghurtsorten und Brotaufstriche erweitert. Die jüngsten Investitionen sollen es der Molkerei ab Mai ermöglichen, in der europäischen A-Klasse mitzuspielen.

Marketingleiter Alfred Korczak sitzt zur Rechten von Maria Czwojdrak am Konferenztisch und ergänzt mit schnellem Blick nach links: „Wir suchen neue Geschäftspartner in der EU und wollen unsere Produkte vor allem auf dem deutschen Markt unterbringen.“ Frau Direktor wiegt zustimmend das Haupt. Bisher beliefert „Jana“ ausschließlich Supermärkte und Geschäfte auf polnischem Terrain. Die Situation sei hier nicht einfach: Die Konkurrenz sei „fürchterlich hart“, und die Leute hätten wenig Geld, seufzt Frau Direktor und zwirbelt Daumen und Zeigefinger. Die Preise für Milch, Quark und Käse sind seit 1990 kräftig gestiegen, stärker als die Einkommen. Wer arm ist in Polen, schmiert Margarine statt Butter aufs Brot. „Jana“ hat es vor allem auf die in Berlin lebenden Polen als neue Zielgruppe abgesehen. „Wir haben ganz gute Chancen. Die Qualität stimmt. Viel billiger als die deutschen Produzenten werden wir nicht sein, aber der Unterschied liegt im Geschmack.“ Produkte wie polnischer Räucherkäse fehlen noch in deutschen Kühlregalen.

Die Chefin mit dem rot getönten Haar erhebt sich behänd, schlüpft in einen weißen Kittel und schreitet die Treppen hinab, über den Hof in die Produktion. Marketingleiter Alfred Korczak und der Chef der Produktion, Jacek Chudziński, schließen sich ihr an. Durch die verwaiste Garderobe der Arbeiter betritt das Führungstrio die Produktionshalle. Säuerlicher Milchgeruch hängt im Raum. Seine Quelle fließt für das Auge unsichtbar in Metallröhren, gärt dann in riesigen, glänzenden Bottichen und erscheint schließlich als körniger Quark in weißen Plastikförmchen auf einem Fließband. Die einzige Aufgabe der beiden Arbeiter am Ende des Bandes ist es, den fertig verpackten Frischkäse säuberlich auf eine Palette zu schichten. Die ganze Produktionsstrecke sei voll computerisiert, berichtet Maria Czwojdrak stolz. Die Förmchen würden anschließend sterilisiert und erneut verwendet – natürlich nach EU-Norm, ergänzt sie.

Über den Hof, auf dem riesige Wasserlachen vom schmelzenden Schnee stehen, staksen die drei zu einem Neubau. Vorbei an dem kleinen Kohlekraftwerk, das schwarz schmauchend die Energie für die Molkerei liefert. „Nicht fotografieren, das kommt auch noch weg“, ermahnt die Direktorin. Mit den Worten „Ganz neu gemacht wurde unser Sozialbereich“ öffnet sie im Inneren des Neubaus die Tür zu einem gelb gefliesten Raum. Männer und Frauen mit weißen Kitteln und Hauben sitzen an sterilen Plastiktischen und essen von Plastiktellerchen. Jacek Chudziński geht weiter zu einer stabil aussehenden Gittertür. Er hält seine Magnetkarte an einen schwarzen Kasten, es klickt, und man steht in einem weiteren Geflecht von Metallröhren und Bottichen. „Hier wird das neue Herz des Betriebes schlagen“, freut sich Chudziński. Durch das Metall-Labyrinth sollen ab Februar die täglichen 150.000 Liter Milch zur Weiterverarbeitung geschleust werden. „Deutsche Technik“, bemerkt der Produktionsleiter anerkennend.

„Jetzt hoffen wir, dass auch etwas zurückkommt“, erklärt Alfred Korczak. Die Internationale Grüne Woche ist die bislang einzige ausländische Landwirtschaftsausstellung, auf der sich das Unternehmen vorgestellt hat. In diesem Jahr kommt „Jana“ zum zweiten Mal und schaut der Messe in Berlin hoffnungsvoll entgegen. Für die Molkerei soll sie die Tür zur Europäischen Union werden.