„Die Globalisierung ist eine Erfolgsstory“, sagt Juergen B. Donges

Die Globalisierungskritiker beim Weltsozialforum übersehen die Chancen, die der Freihandel bringt – auch für Ärmere

taz: Herr Donges, machen die Globalisierungskritiker einen Denkfehler?

Juergen B. Donges: Ja. Sie machen die Globalisierung verantwortlich für sämtliche Fehler – von der Armut in den Entwicklungsländern bis hin zur hohen Arbeitslosigkeit in den Industrieländern. Das ist einfach falsch.

Warum?

Die Ursachen für solche Entwicklungen liegen meist in den Ländern selbst.

Die Entwicklungsländer sind also an ihrer Armut selbst Schuld?

Zahlreiche wirklich arme Länder haben Regierungen, die wenig oder gar nichts gegen die Armut tun. Wenn wir zurückblicken, stellen wir fest, dass sich die Dritte Welt gewaltig ausdifferenziert hat. Es gibt die Schwellenländer. Dort haben Regierungen etwas getan, um Entwicklung voranzubringen, und inzwischen ist das Armutsproblem dort nicht mehr so drängend.

Dann gibt es Länder, die haben nichts gemacht. Beispiel Venezuela: ein reiches Land, eine autarke Agrarproduktion, Erdöl, ein Klima, bei dem sie alles herstellen können – und trotzdem herrscht dort Armut. Die Venezuelaner könnten perfekt von der Globalisierung profitieren. Dass sie das nicht tun, hängt einzig und allein mit dem korrupten politischen System und Präsident Chávez und seinen Vorgängern zusammen.

Und der Erfolg der Schwellenländer ist der Globalisierung zu verdanken?

Ja. So wie die Einbindung unserer Industrieländer in den Welthandel zu einer wesentlichen Quelle des Wohlstands wurde, gilt das auch für die Schwellenländer. In dem Maße, wie sich China, Vietnam, Thailand für den Markt öffnen, haben sie die Chancen, die der Freihandel bietet: sich auf die Herstellung bestimmter Produkte zu spezialisieren und die dann an andere Länder zu verkaufen. Korea hat sogar schon Multis wie den Konzern Samsung, die global Geschäfte machen.

Sie übersehen, dass der Erfolg von Schwellenländer wie China und Indien darauf fußt, dass sie ihre Märkte vor der Globalisierung schützen können. In China waren bis vor kurzem nur Joint Ventures möglich, keine Übernahmen durch ausländische Unternehmen.

Nein. Es wundert mich überhaupt nicht, wenn China zunächst nur Teile seiner Wirtschaft öffnet. Auch bei uns hat man ausländischen Investoren nicht so ohne weiteres die Mehrheit gegeben.

Aber solche Sonderwege können sich nur starke Staaten und Ökonomien wie China erlauben. Kleine, schwache, arme Staaten haben diese Chance nicht.

Ob klein oder groß ist nicht die Frage: Das kleine, früher arme Singapur hat es auch geschafft, sich für den Weltmarkt attraktiv zu machen. Was wir heute in Äthiopien beklagen – mangelnde Bildung und Infrastruktur – habe ich schon vor dreißig Jahren beklagt, als ich noch Entwicklungsländerforschung betrieben habe. Ich frage mich: Woran liegt das? Und ich sage: Fangt doch mal an, Infrastruktur aufzubauen, Leute auszubilden. Das ist auch eine ganz fundamentale Kritik an Attac: Die tun immer so, als wäre das Übel plötzlich vom Himmel herabgefallen. Und das Land kann sich jetzt nicht helfen. Ich halte dagegen: Schaut, wie ihr euch in den Prozess der Globalisierung einbringen könnt.

Aber wie? Ein Land wie Äthiopien kann nur Agrarprodukte oder Rohstoffe exportieren. Agarprodukte subventionieren die reichen Länder und machen so die Weltmarktpreise kaputt.

Da stimme ich mit den Globalisierungskritikern überein: Die Agrarpolitik der EU und der USA ist unglaublich protektionistisch! Das schadet vielen Entwicklungsländern. Auch die Zölle für Textilien sind bei uns viel zu hoch, das behindert viele Entwicklungsländer bei ihrer Industrialisierung.

Die Globalisierungskritiker fordern außerdem, dass Entwicklungsländern Schutzzölle erlaubt sein sollen.

Damit habe ich ein Problem. Denn Schutzzölle sind eine alte Untugend, die jahrzehntelang praktiziert wurde und mit denen vor allem die Länder in Lateinamerika ihre Volkswirtschaften vor die Wand gefahren haben. Zölle sind zeitlich begrenzt sinnvoll. Die Praxis ist aber anders.

Brasilien hat vor mehr als hundert Jahren so einen „Erziehungszoll“ eingeführt – den gibt es immer noch! Irgendwann wird doch aus einem Baby auch ein Erwachsener. Aber wenn man das Baby immer wie ein Baby behandelt, dann bleibt es ein Baby. Es lernt nie, selbst zu laufen. Ein weiterer Aspekt, der bei den Globalisierungskritikern völlig untergeht: Die Entwicklungsländer betreiben untereinander am meisten Protektionismus.

Was raten Sie den Globalisierungskritikern?

Drei Dinge: Einmal, dass sie bei ihrer Kritik an der Globalisierung doch mal Erfolgsstorys angucken und sich nicht in die resignative Ecke setzen. Aus den Erfolgen anderer kann man lernen. Zweitens: einen Schnellkurs in Volkswirtschaftslehre. Und drittens gibt es bei ihnen einen Widerspruch. Einerseits sollen in den Entwicklungsländer Arbeitsplätze entstehen. Andererseits beklagt man die Gefährdung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Und wenn Attac und die Gewerkschaften nun Schutz vor Auslandskonkurrenz fordern, dann müssen sie auch klar dazu sagen: Wir exportieren unser Arbeitslosenproblem in die Entwicklungsländer. Die Betroffenene sind genau die, für die Attac in einer anderen Abteilung dann glaubt, den Vorreiter spielen zu müssen.INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN