Gut klimatisierte Alpträume

Neun Geschichten der Angst und der Empfindlichkeit im Amerikader Neunzigerjahre: Adam Hasletts Debüt „Das Gespenst der Liebe“

Dass Edward Hopper in seinen Bildern klimatisierte Alpträume schafft, ist inzwischen fast ein Allgemeinplatz geworden. Aber genau solche Gefühle ruft auch die Szenerie in den Debüt-Erzählungen des amerikanischen Autors Adam Haslett hervor – seine Figuren wirken wie Kunstkörper in einer großen, interessanten Leere. Verkühlte Biedermänner und -frauen, strebsam scheiternde Akademiker, erfolgsfixierte Unternehmer, das Perpetuum mobile der ewigen Familie, angetrieben vom amerikanischen Traum.

Kontrastives Gegenlicht kommt vom closet, aus dem durchlässigen Versteck des homosexuellen Mannes, der hier zielsicher seine Versionen zur Geltung bringt, und aus der Psychiatrie. Jeder Zweite bei Haslett ist schizo, manisch-depressiv oder giert nach Wegwurf. Am schärfsten ausgedrückt wird das in „Der Ursprung der Verzweiflung“. Ein junger Icherzähler hat kurz nacheinander beide Eltern verloren. Er berichtet intensiv von einer Tischlerarbeit in seiner Schule und eher lapidar, wie er eine sadomasochistische Beziehung zu einem Mitschüler erzwingt. Im körperlichen Schmerz sucht er die seelische Selbstauslöschung, und gleichzeitig lebt er die Angst, den Hass und das Drama des pubertären schwulen Begehrens.

Viele dieser Lebensentwürfe aus dem Amerika der Neunzigerjahre werden dominiert von der Angst, und die allmächtigen Psychiater und ihre Medikamente tun ihr Übriges dazu. Adam Haslett schreibt neun Variationen zum Thema, lässt aber Widerstände zu. So tritt in der ersten Geschichte ein renitenter alter Anarcho auf, der seine Pillen nicht mehr nimmt und klarstellt: „Ich hasse Ärzte, und ich bin in meinem ganzen Leben keiner Selbsthilfegruppe beigetreten. Mit dreiundsiebzig werde ich mich auch nicht mehr ändern.“ Seinen braven Sohn schockiert der Mann, indem er dessen Homosexualität ziemlich locker zur Kenntnis nimmt. Er lädt ihn in die Hoover-Suite eines teuren Hotels ein, natürlich ohne Geld zu haben. Dafür stänkert er lieber. In dieser Geschichte verschränkt sich der Widerstand gegen die Fremdherrschaft der Psychiatrie mit dem Thema der unglücklichen Anpassung. Nur sind die Rollen merkwürdig vertauscht – der Sohn ist Börsenmakler, lebt seine schwule Identität nur verdeckt und hat erhebliche Verlustängste.

Eine durchgängige Ambivalenz der Umwertungen färbt Hasletts Erzählungen jeweils neu, sie bringt Bewegung in die Lektüre. Moralische Ordnungsmodelle und Machtverhältnisse werden aufgehoben, umgekehrt oder unsichtbar gemacht. Auf diesem unsicheren Terrain ist es die Suche nach Intimität, die eine innere Stabilität ermöglicht. Sie bewahrt Hasletts Konzept des kalten Blicks vor dem Umkippen. Edward Hoppers Malerei schafft das durch die starken Farben, mit der er seine große Leere malt. In Adam Hasletts Texten sind es die glasklaren Beschreibungen, oft im Wahrnehmungsmodus des Manisch-Depressiven – sie wirken als ästhetischer Kontrapunkt zum emotionalen Zerfall.

Adam Haslett hat einige philosophische Leitmotive über seine Variationen der Angst gespannt. Eine davon legt er einem Studenten in den Mund: „Marx sagt, es gibt nur ein Gegenmittel für seelisches Leiden, und das ist körperlicher Schmerz (was mir durchaus einleuchtend erscheint).“ Haslett hat es wohl sehr richtig verstanden, was der Student da in Parenthese für sich umdeutet. Aber „körperliche Arbeit“ verrichtet bei ihm niemand mehr. Oder zählt das Schreiben dazu?

MARTIN ZÄHRINGER

Adam Haslett: „Das Gespenst der Liebe“. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Pocia und Roberto de Hollanda. Goldmann Verlag, München 2003, 253 Seiten, 9,90 Euro