Der Unvermeidliche

Rücktritt vom Rücktritt: Ralph Siegel probiert es erneut beim Grand Prix. Und sehnt sich doch nur nach „Ein bisschen Frieden“

aus Kiel JAN FEDDERSEN

Natürlich ist er wieder dabei. Deutsches Grand-Prix-Urgestein. Der Mann, der den Kick der Punkteauswertung braucht wie Boris Becker sein Wimbledon. Aber dieses Jahr ist mit Ralph Siegel manches anders. Gewiss, er hat voriges Jahr geschworen, nie wieder mitzumachen. Ein 21. Platz für seine Corinna May in Tallinn. Eine schlechte Presse. Das öffentliche Mitleid, das der Bremer Sängerin zuteil wurde, hielt sich in Grenzen – fand sich als freundlich gemeinte Geste beim Münchner Erfinder der Karriere der Nicole („Ein bisschen Frieden“) nicht einmal in Spurenelementen. Das schlechteste Ergebnis für Deutschland eingefahren? Achselzucken. Ökonomisch wie fast alle Jahre nur draufgezahlt? Na und.

Und doch gab er kurz nach Weihnachten bekannt, er täte es noch einmal versuchen, denn mit einem so schlechten Resultat könne einer wie er nicht abtreten. Die Geschichte stimmt nicht, denn in seinen Pullacher Jupiterstudios sitzt er schon seit vorigem Sommer an jenem Song, der dieses Jahr „Let’s Get Happy“ heißt. Prekär aber: Er fand keine Interpretin. In der Musikbranche scheint schon der Name Ralph Siegel als Chiffre für den Tod jeder Karriere zu gelten.

War es denn nötig, Corinna May öffentlich zu demütigen („ein schlimmer Auftritt“), nur weil sie getan hatte, was der Meister von ihr verlangte – als blinde Frau die Discomieze zu geben? Wusste er nicht, dass für die europäischen Zuschauer egal bleibt, ob die Sängerin nun sehen kann oder nicht? Siegel ging mit vollem Bewusstsein in die Niederlage. 57 Jahre ist er mittlerweile alt. Und ein Hit will ihm nicht mehr gelingen, tragischerweise seit Nicoles „Ein bisschen Frieden“, 1982 in Harrogate. Man sieht seinem Gesicht die Bitterkeit an, die in ihm frisst, weil er es nicht einmal zum Kult bringt. Guildo Horn hat vorgemacht, wie die Liebe zum Schlichten im Komplexen rüberkommt – Ralph Siegel wirkt hingegen immer wie ein enttäuschter Vater des Gutwilligen. Müde sein Gang, zäh seine Bewegungen überhaupt. Fast fleht er: „Einmal noch, nur einmal noch.“

Aber Nicole will nicht mehr, für sie wäre alles außer einem Sieg eine Beschädigung ihres Nimbus als einzige deutsche Grand-Prix-Siegerin. So sehr sie Siegel vertraut, so entschieden weist sie zurück, den Grand Prix Eurovision abermals zu ihrer Bühne zu machen: Sie wird wissen, dass die heutige Friedensliebe unter den Europäern weniger sentimental schmeckt als vor 20 Jahren – heute geht es um echte Kriege, nicht um Spielplatzmoral wie jene kurz vor dem Ende des Kalten Kriegs.

Siegel hält sich dieses Jahr ad personam zurück. Kein Lobbyismus im Kieler Grand-Prix-Hotel („toller Song, mein bester seit ‚Ein bisschen Frieden‘“), kein ständiges Herumkritteln an seinen Interpreten – wie dieses Jahr Lou, die er schließlich doch noch fand. Es ist ihre zweite Chance nach 2001 – und ihr letzter Anlauf, es zu mehr zu bringen als zur grandiosen Sängerin jenseits der MTV-Liga. Dafür nimmt sie in Kauf, dass Siegels Lied einmal mehr klingt wie eine in den Fünfzigerjahren grundierte ästhetische Mixtur aus Boogie-Woogie, altdeutschem Kinderlied und Musicalgewölk – viel zu deutsch, als dass das juvenile Deutschland darauf abfahren könnte.

Man muss sich um ihn sorgen, wie es viele seiner Mitarbeiter, wenn auch nicht offen, tun: Dass er es immer wieder probiert, bis sein Herz nicht mehr mitmacht. So scheitert wie der Kraftmeier, der ein ums andere Mal mit bloßer Muskelkraft einen Tresor zu öffnen sucht – und nicht erkennt, dass mit Köpfchen mehr auszurichten wäre. Vielleicht gewinnt Siegel am Freitag mit Lou. Es wird ihn, er weiß es genau, nicht von seinem Hörsturz heilen, vom chronischen Fiepen im Ohr, den er 1982 im Jahr seiner Nicole erlitt. Ralph Siegel hat seinen Frieden verdient. Tragisch bleibt, dass er nicht mal ein bisschen davon in sich spürt.