Wenn die Heimat sich entfernt

Fotos, Fingerabdrücke und Befragungen – alle Männer aus muslimischen Ländern müssen zur Registrierung

aus New York KIRSTEN GRIESHABER

Als es an der Wohnungstür klopfte, reichte Fauzia Khan gerade ein Tablett mit Teegläsern herum. Sie und ihr Mann Amjad Khan hatten an diesem Abend Freunde aus der Moschee in ihre kleine New Yorker Wohnung geladen. Chai, gewürzt mit Ingwerstückchen, Kardamon, viel Zucker und einem Schuss Milch. Amjad Khan erinnert sich an jedes Detail. Der Tee dampfte aus den Gläsern und verströmte seinen Duft im Wohnzimmer. Die Gäste waren zufrieden, der süße Geschmack weckte Erinnerungen an die alte Heimat in Pakistan.

Je mehr Freunde, desto besser, dachte Khan, öffnete die Tür und verlor die Kontrolle über sein Leben. Mehr als 30 Bewaffnete stürmten in die Wohnung und schrien. Seine Frau schrie auch. Die Männer kamen vom FBI und von der Joint Terrorism Task Force, einer Spezialeinheit zur Bekämpfung des Terrorismus. Sie fesselten Amjad Khan und sperrten die Gäste in die Küche. Sie sagten etwas von Massenvernichtungswaffen, verhafteten den 30-jährigen Einwanderer aus Pakistan und brachten ihn ins Gefängnis nach Brooklyn.

Wenn Amjad Khan von seiner Verhaftung im Dezember 2001 erzählt, klingt seine Stimme angespannt. „Sie wollten mich für die Anschläge vom 11. September bestrafen. Weil ich Muslim bin. Aber ich bin unschuldig, ich bin ein guter Mann.“ Aus Angst vor den Behörden möchte er nicht fotografiert und auch nur mit geändertem Namen in einer Zeitung erwähnt werden. Er wirkt erschöpft. „Acht Monate haben sie mich ins Gefängnis gesperrt, zwei Monate und zehn Tage davon in Isolationshaft. Ich bin fast verrückt geworden.“

Khan ist nicht der einzige Muslim, der seit dem 11. September ohne Haftbefehl und Prozess interniert wurde. Mindestens 1.200 Männer arabischer oder muslimischer Herkunft galten oder gelten in den USA vorübergehend als verschwunden. Bis auf Verstöße gegen das Einwanderungsgesetz konnten die Behörden den Männern allerdings nur in wenigen Fällen illegale oder gar terroristische Aktivitäten nachweisen.

Auch Khan sagt, dass er niemals in kriminelle Machenschaften verwickelt war. Als er vor fünf Jahren mit einem Touristenvisum in die USA einreiste, träumte er von unbegrenzten Möglichkeiten, glaubte an die Versprechen von Freiheit, Gleichheit und Geld. Seinen Eltern in Islamabad hatte er beim Abschied versichert, jeden Monat Dollars zu schicken. Sieben Tage die Woche schuftete er in einem Supermarkt, arbeitete sich hoch vom Kassierer zum Aufseher. In seiner Freizeit besuchte er Englischkurse. Als die Zwillingstürme einstürzten, war Khan schockiert. Der religiöse Fanatismus hatte mit seinem Glauben an Allah nichts gemeinsam.

Das FBI war anderer Ansicht. Die Behörde ließ Khan in eine Zelle sperren und zerstörte seinen Traum vom besseren Leben in den USA. Es klingt fast unglaublich, was Khan von seiner Zeit in der Isolationshaft erzählt, doch seine Schilderungen werden von Zeugenberichten muslimischer Einwanderer gestützt, die kürzlich in der New York Times veröffentlicht wurden. Detailgenau beschreibt Khan, wie Tag und Nacht das Licht brannte, zwei Kameras jede seiner Bewegungen überwachten, in einer Zelle, die keine drei Quadratmeter maß. „Die tägliche Mahlzeit bestand aus heißem Wasser mit ein paar Haferflocken, ohne Salz, ohne Gewürze. Gerade genug um mich am Leben zu halten“, erzählt Khan. Es habe weder Decken noch Kissen gegeben und er habe orangefarbene Kleidung tragen müssen, wie die Gefangenen von Guantánamo Bay.

Am unerträglichsten waren für Khan der Kontrollverlust, die Einsamkeit, die Angstattacken. „Nach zwei Tagen hatte ich mein Gefühl für Zeit verloren. Ich durfte keinen Anruf machen, meine Frau wusste nicht, ob ich noch lebte.“ In den Verhören stellten die Beamten immer wieder die gleichen Fragen: Kennst du Bin Laden? Weißt du, wie man ein Flugzeug fliegt? Warum lehrt deine Religion, alle Amerikaner zu töten?

„Diese Häftlinge wurden ausschließlich zu ihrem eigenen Schutz vor der allgemeinen Gefängnisbevölkerung in separate Zellen gebracht“, sagt Jorge Martinez, ein Sprecher des US-Justizministeriums am Telefon. Die Männer seien im Rahmen des Krieges gegen den Terror verhaftet worden. „Wegen des anhaltenden Kampfes gegen den Terror kann ich aber nichts Weiteres dazu sagen.“ Zu konkreten Fällen gibt Martinez sowieso keine Auskünfte.

Khan wartet bis heute auf eine offizielle Erklärung für seine Verhaftung. Mehrmals wiederholt er, dass ihm die Behörden keine Verbindungen zu Terroristen nachweisen konnten. Er sagt: „Ich hege keine bitteren Gefühle gegen die amerikanische Bevölkerung, aber ich hasse Präsident Bush über alles.“

Nach zwei Monaten und zehn Tagen in Isolationshaft überführten sie ihn in ein normales Gefängnis. Dort konnte er endlich seine Frau anrufen und sich einen Anwalt nehmen. Als es schließlich zum Prozess kam, wurde er nur schuldig gesprochen, gegen das Einwanderungsgesetz verstoßen zu haben. Tatsächlich war sein Touristenvisum schon vor Jahren abgelaufen. Durch seine Heirat mit Fauzia, einer US-Bürgerin, hatte er sich jedoch das Recht auf eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung erworben. Die Green Card hatte er schon vor dem 11. September beantragt, die Unterlagen steckten aber in der Bürokratie des Immigration and Naturalization Service (INS), der Einwanderungsbehörde. Gegen eine Kaution von 15.000 Dollar, die seine Freunde für ihn sammelten, kam Khan vor einem halben Jahr frei.

Kennst du Bin Laden?, fragten sie ihn in den Verhören. Weißt du, wie man ein Flugzeug fliegt?

In ihrem eleganten Büro in Downtown Manhattan koordiniert die 27-jährige Rechtsanwältin Dalia Hashad von der nationalen Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union die Zusammenarbeit vieler kleiner Protestgruppen. Hashads Eltern sind vor vielen Jahren aus Ägypten eingewandert. Ihr Telefon klingelt ununterbrochen, jeden Tag bekommt sie neue Berichte über die Diskriminierung von Muslimen in den USA. „Ihr einziges Vergehen ist, dass sie Muslime sind“, sagt Hashad, die US-Regierung setze unschuldige Menschen mit Terroristen gleich.

Das US-Justizministerium schert sich nicht um solche Proteste. Zurzeit setzt die dem Ministerium unterstehende Einwanderungsbehörde das Special Registration Program um: Im November wurde eine Liste mit hauptsächlich muslimischen Ländern zusammengestellt, die angeblich terroristische Aktivitäten schützen oder finanzieren. Männer, die älter als 16 Jahre und Staatsangehörige jener Länder sind, müssen sich bei der Einwanderungsbehörde melden. Es spielt keine Rolle, ob sie Touristen oder Geschäftsleute sind, seit Jahrzehnten in den USA leben, hier studieren oder sich illegal im Land aufhalten. Alle Männer werden fotografiert, ihre Fingerabdrücke gespeichert und sie werden oft stundenlang verhört. Wer keine gültigen Papiere hat, wird abgeschoben und darf die USA zehn Jahre nicht mehr betreten.

Adam Carroll arbeitet als Sozialarbeiter bei der Hilfsorganisation Islamic Circle of North America. Sein Büro ist in einem heruntergekommenen Reihenhaus in Queens an der östlichen Stadtgrenze New Yorks untergebracht. In der Nachbarschaft leben fast ausschließlich Einwanderer aus der Karibik und Pakistan. Carroll sagt, dass ihn täglich besorgte Muslime anrufen. Er erzählt von den Einwanderern, die nach Kanada fliehen, aus Furcht vor Abschiebung (siehe Kasten). Andere, die sich zur INS-Registrierung wagen, kämen anschließend eingeschüchtert zu ihm ins Büro. „Wer sich beim INS meldet, wird oft tagelang festgehalten, in Handschellen gelegt und verhört – selbst wenn der Aufenthaltstatus in Ordnung ist“, sagt Caroll. Er meint, dass es um Schikane geht, nicht um Sicherheit. „Die Regierung glaubt doch selbst nicht, dass sich ein Terrorist freiwillig melden würde, um seine Daten offen zu legen.“

Amjad Khan sagt, dass er nicht nach Kanada will und auch nicht zurück nach Pakistan. Seine Frau ist doch US-Bürgerin, da hat er ein Recht auf ein Leben in den Vereinigten Staaten.

Vor ein paar Tagen ließ er sich registrieren, denn Pakistan, offiziell Bündnispartner in Amerikas Krieg gegen den Terror, steht ebenfalls auf der Länderliste. „Ich hatte solche Angst, direkt wieder verhaftet zu werden“, erklärt er. „Bei jedem weißen Mann, der mich anguckt, bin ich überzeugt, dass er für die Regierung arbeitet.“ Um neun Uhr morgens meldete Khan sich in der Einwanderungsbehörde, 15 Stunden später, um Mitternacht, wurden seine Daten aufgenommen. Ein Verhör gab es nicht, nur, so berichtet Khan, eine hämische Bemerkung des zuständigen Beamten: „Wir behalten dich im Auge und wenn du nicht spurst, sitzt du schon morgen im Flugzeug nach Pakistan.“