Zwischen den Fronten in Uganda

Früher rekrutierte Ugandas Regierungsarmee Kinder, heute tun es Ugandas Rebellen. Das führt zu Kontroversen. Jüngstes Beispiel: das Kindersoldatenbuch von China Keitetsi

BRÜSSEL taz ■ „Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr“ – so heißt das in Deutschland berühmteste Kindersoldatenbuch. Die heute 26-jährige Uganderin China Keitetsi beschreibt darin, wie sie im Alter von acht Jahren in die damalige Guerillabewegung des heutigen ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni zwangsrekrutiert wurde. Mit dem Buch hat die Autorin Persönlichkeiten wie Kofi Annan, Nelson Mandela, Bill Clinton, Whoopie Goldberg und die Königin von Schweden zu Tränen gerührt und dazu beigetragen, das Thema der in Afrika kämpfenden Kinder auf die internationale Tagesordnung zu setzen.

Ugandas Regierung fürchtet, dass das dem Ruf ihres Landes schadet. Der Chefsprecher des Präsidenten, John Nagenda, hat ein Komitee gegründet, das Keitetsis Buch als frei erfunden darstellt. Das „Committee Into Keitetsi’s Hoax“ (CIKH) widerspricht dem Bericht der Kindersoldatin auf einem 28-minütigen Video, das in Brüssel EU-Politikern vorgeführt worden ist.

China Keitetsi sei demzufolge nicht mit acht Jahren der Armee beigetreten, sondern erst mit 17. Im Bürgerkrieg vor Musevenis Sieg 1986 habe die NRA-Guerilla verlassene Kinder zwar aufgenommen, aber nicht zwangsrekrutiert. Dass Keitetsi 1995 aus der Armee desertierte, sei darauf zurückzuführen, dass sie 30 Millionen ugandische Schilling gestohlen habe – nach damaligem Wechselkurs 60.000 Dollar.

Für Keitetsi, die im dänischen Exil lebt, sind das alles dreiste Lügen. „Ich habe ein Foto von mir als Soldatin, wo ich 15 bin“, sagt Keitetsi der taz (siehe Bild). „Als die NRA 1986 in Uganda die Macht übernahm, rannte ich weg. Es war für mich sehr schwer, mich in die Gesellschaft einzuordnen. Also trat ich Ende 1986 wieder in die Armee ein.“ Die Diebstahlsvorwürfe weist sie zurück und führt aus: „Sehen Sie sich das Video auf meiner Webseite an – da sagt Museveni selbst: Hier in Afrika ist es Tradition, dass man schon mit vier Jahren weiß, wie man mit Speer und Pfeil und Bogen kämpft.“

Keitetsis Kampagne ärgert Ugandas Regierung vor allem, weil das Land heute wieder zehntausende Kindersoldaten zählt – aber nicht in der Regierungsarmee, sondern bei der Rebellenbewegung LRA (Lord’s Resistance Army) im Norden Ugandas. Allein zwischen Mitte 2002 und Mitte 2003 verschleppte die LRA 8.400 Kinder.

Zeitgleich mit dem Streit um Keitetsis Buch warb die Belgierin Els De Temmerman bei der EU für eine Militärintervention gegen die LRA. Die Exjournalistin, Freundin der ugandischen First Lady und Gründerin eines Hilfswerkes, das im nordugandischen Gulu über 800 aus den Händen der LRA befreite Kinder betreut, nennt als Interventionsmodell das britische Eingreifen gegen die ebenfalls für Kinderrekrutierung berüchtigten Rebellen von Sierra Leone. Nur militärisch könne die LRA besiegt werden, die mittlerweile über 1,2 Millionen Menschen vertrieben hat.

Ugandas Armee habe immerhin insgesamt 5.000 Kinder aus den Händen der LRA befreit, erzählt Temmerman. „Sie kommen sehr traumatisiert zurück“, berichtet sie über ihre Arbeit in Gulu. „Manchmal reden sie monatelang kein Wort. Wenn sie das Rattern eines Hubschraubers hören, werfen sie sich auf den Boden und zittern am ganzen Leibe. Manche sind sehr aggressiv; wenn man sie kritisiert, greifen sie zum Stock oder zum Messer. Viele haben Wunden. Manche sind stark unterernährt. Viele Mädchen haben Geschlechtskrankheiten und Aids. Das Schlimmste ist aber, dass sie sich schuldig fühlen, weil man sie gezwungen hat, zu töten, manchmal sogar die eigene Familie.“

So stehen sich im Falle Uganda zwei unversöhnliche Lager gegenüber. Aber sie eint ein Ziel: Es soll keine Kindersoldaten mehr geben. FRANÇOIS MISSER