berliner szenen Begegnung mit Macht

Tut mir Leid reicht nicht

Um sich frühzeitig auf die Schaukämpfe vorzubereiten, die sich im Mai wieder zwischen Demonstranten und Ordnungskräften in Kreuzberg abspielen werden, muss die Berliner Polizei potenziellen Steinewerfern schon jetzt hin und wieder erläutern, wo die Fronten liegen. So auch kürzlich, als ein Fahrradfahrer, der eine schwarze Jeansjacke mit A-Aufnäher trug, eine rote Ampel missachtete, um die Skalitzer Straße trotz des dichten Verkehrs zu überqueren, und ein aufmerksamer Beamter in einem Streifenwagen den Fahrradfahrer abfing, indem er sich mit seinem Fahrzeug zwischen ihn und die Fahrbahn stellte. Der Polizist ließ per Knopfdruck das Seitenfenster herunter und sagte: „Fahren Sie mal rechts ran.“ Mit rechts meinte er den Bürgersteig. „Sehen Sie die weiße Linie vor der Ampel?“ fragte der Polizist.

„Ja“, sagte der Fahrradfahrer.

„Wissen Sie, dass diese Linie auch für Fahrradfahrer gilt?“

„Ja.“

„Und warum stehen Sie dann hier?“

„Es tut mir leid.“

„Es tut mir leid, reicht mir nicht. Das kostet sechzig Euro.“

„Oh.“

„Würde es Sie schmerzen, sechzig Euro zu zahlen?“

„Schon.“

„Dann achten Sie nächstes Mal besser darauf, wo Sie stehen.“

„Ich weiß, wo ich stehe.“

„Wollen Sie frech werden?“

„Nein.“

„Ist auch besser so.“ Per Knopfdruck lässt der Polizist die Scheibe wieder hochfahren. Er wartet, weil es seine Pflicht ist, bis der Fahrradfahrer sich vor der Ampel eingeordnet hat. Und als das grüne Licht aufleuchtet, nicken sich beide zum Abschied zu wie zwei alte Freunde, die wissen, dass sie sich in nicht allzu ferner Zukunft wieder sehen werden.

JAN BRANDT