berlin buch boom
: Nach seinem Rundgang durch Kreuzberg hat der Verbrecher Verlag nun auch ein „Mittebuch“ herausgebracht

Trilogie eines Schmerzes

„Man muss dahin gehn, wo‘s wehtut“, steht über einer Bilderserie vom Kottbusser Tor, die Oliver Grajewski für das „Kreuzbergbuch“ gezeichnet hat. Das war im letzten Jahr, und die gut gelaunte Kreuzberg-Anthologie handelte von einer fast schon fernen Zeit, als ein neues Wort wie „Flyer“ sich noch „komisch im Mund“ anfühlte und die Postleitzahlen vierstellig waren.

Im selben Berliner Verbrecher Verlag ist nun das „Mittebuch“ erschienen. Und weil neben Grajewski viele andere aus dem Kreuzbergbuch bekannte Autoren Texte geschrieben haben, ist es nicht ganz abwegig, aus dem Kreuzberg-Motto auch eines für Berlin-Mitte zu machen.

Tut Mitte weh? – In diesem Fall ist es freilich so, dass erst die Leute und dann die Schmerzen kamen. Anno 2003 bedeutet der Begriff „Mitte“ für manchen Bewohner dessen, was Diedrich Diederichsen einmal das „schwarze Loch der Subkulturen“ nannte, eine Auseinandersetzung mit dem Unbehagen in seiner gegenwärtigen Umgebung. Am Ende des gar nicht mal so langen Wegs zum “Mythos Mitte“ gehört die allergische Reaktion auf Gentrifizierung, Stadtplanung und den Ausverkauf der Gegenkulturen zur Grundausstattung ansässiger Diskursverwalter.

Vom umtriebigen Verbrecher Verlag, der mitten aus Mitte agiert, wäre eine polemische Stellungnahme aus dem heißen Themenquadrat Stadt, Politik, Ökonomie und Pop zu erwarten gewesen. Umso schöner, dass aus dem „Mittebuch“ kein verkrampfter Diskurs-Reader geworden ist. Gelassenheit ist Teil der Strategie. „Mitte ist für die hier Lebenden kein Ereignis mehr, es ist einfach nur noch da. Wir leben und arbeiten dort“, schreiben die Herausgeber Verena Sarah Diehl, Jörg Sundermeier und Werner Labisch im Vorwort.

Erzählungen, Zeichnungen und zudem mehr oder weniger private Streifzüge durchs Quartier halten die Mittetheorie im Zaum. Axel John Wieder untersucht darin die Verquickung von Kulturrepräsentation mit Wirtschaftsinteressen am Beispiel der Auguststraße. Mit der Kritik an den „Aufwertungsprozessen unter dem Leitbild-Produzenten Kultur“ (Wieder) geht auch Iris Weiss, der das Thema am Herzen liegt, gegen das „Jewish Disneyland“ und die teils exzessive und oftmals bloß hohle Inszenierung jüdischen Lebens in Mitte vor.

Über solche und andere „Stadtteilschimpfe“ (Jürgen Kiontke) hinaus erzählt das Buch vom Kreatividyll Mitte (melancholisch: Britta Lange, Ambros Waibel), von den Neuen Medien und der Werbeindustrie (sachgerecht grotesk: Diethmar Dath, Leonard Lorek), überhaupt von den allgemeinen Zumutungen des Stadtlebens wie dem „Elternzoo“ Kinderspielplatz (Heike Blümner) und den besonderen in Mitte wie dem Promirummel (Vanessa Diehl), alsdann und insbesondere auch vom Ausgehen (Christiane Rösinger und sehr trashig: Anton Waldt, Marc Weiser).

Na ja, ein, zwei Geschichten, deren Unterschiedlichkeit dem Buch so gut ansteht, hätten sich auch anderswo zutragen können. Etwa in Neukölln. Davon aber wird das „Neuköllnbuch“ handeln, das die Kiezbuch-Trilogie aus dem Verbrecher Verlag im Herbst vervollständigen soll. „Kreuzberg hatte einen Traum, Mitte hatte einen, und Neukölln kann keinen haben“, sagt Sundermeier. Klingt wie einer, der mit Schmerzen seine Erfahrungen gemacht hat.

NIKOLAUS STEMMER

Jörg Sundermeier u.a. (Hg.), „Mittebuch“, Verbrecher Verlag, Berlin 2003. 208 S., 12,30 €