Mieter müssen kein Kabelfernsehen kaufen

Nach dem Abschalten der analogen Programme am Wochenende wechseln jetzt viele Vermieter zu Kabel-TV. Mieter sind oft irritiert und nicht ausreichend informiert. Unternehmen profitieren von „zehntausenden neuen Aufträgen“

Das knallrote Informationsblatt hängt seit Wochen scheinbar unbeachtet in einem Neuköllner Hausflur. Der Grund: Eine neue Kabelfernsehanlage sollte installiert werden. Jetzt hat ein Mieter in großen Buchstaben eine Bemerkung dazu gekritzelt: „Wann, bitte schön?“

Es könnte gut Herr K. aus dem dritten Stock gewesen sein. Der 30-Jährige ist sauer, seit er am Samstag keinen Fußball im Fernsehen gucken konnte. Noch schlimmer, er hat verpasst, wie sein Favorit Kügelböck aus der Superstar-Show geflogen ist. Bis Freitag war für Mieter K. die Welt noch in Ordnung. Zwölf TV-Programme, die er wie 150.000 andere Haushalte im Ballungsraum Berlin-Brandenburg über Dachantenne empfing, waren völlig ausreichend. Nun ist alles anders und er irritiert. Das hat mit der weiß-schwarzen Grisselei zu tun, die er so noch die nächsten Wochen hinnehmen soll. Vor allem aber ärgert er sich über die Worte „müssen“ und „alle“, die fett auf der Mieterinfo unterstrichen sind.

„Bin ich verpflichtet einen Kabelvertrag abzuschließen?“, fragen etliche Betroffene bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) nach. Die Hausverwaltungen argumentierten, dass auf die Grundversorgung ein Rechtsanspruch bestehe. „Bei den Vermietern herrscht darüber nicht genügend Klarheit“, sagt MABB-Mitarbeiter Sascha Bakarinow, der von älteren verunsicherten Bürgerinnen und rüden Schreiben von Vermietern berichtet. Er versichert, dass es die Verpflichtung der Vermieter zur Lieferung der Programme gegenüber den Mietern nicht mehr gebe. Seitdem die Zimmerantenne funktioniere, habe der Mieter keinen Anspruch mehr auf eine Dachantennenversorgung. Damit seien die Mieter auch nicht verpflichtet, Kabel anzunehmen. Barkinow: „Die Vermieter könnten sich eigentlich verabschieden.“ Im Haus von Herrn K. soll die Kabelgrundversorgung mit sechs Programmen monatlich alle Mieter 5 Euro kosten und über die Betriebskosten abgerechnet werden. Wer mehr sehen will, muss mit der Kabelfirma gesondert einen kostenpflichtigen Vertrag abschließen. Die neue Kabelfernsehanlage erreiche, so die Hausverwaltung, technisch den allerneuesten Stand.

Hauptgeschäftsführer Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein findet es fraglich, ob der Kabelanschluss eine Wohnwertverbesserung darstellt, da das digitale Fernsehen über Antenne mit den derzeitigen 24 und geplanten 30 Programmen genauso viel Fernsehen biete wie das Breitbandkabel. Auch Vetter betont: „Vom Vermieter kann keine Verkabelung erzwungen werden.“ Sogar die Verbraucherzentrale warnt auf ihrer Website vor kostenpflichtigen Modernisierungsmaßnahmen der Vermieter im Zusammenhang mit der Einführung des terrestrischen digitalen Fernsehens und vor Neuverträgen oder Vertragsänderungen mit Kabelservicefirmen. „Es gibt keine logische Erklärung dafür, dass viele Vermieter nun die Hausantennen abbauen“, sagt Bakarinow. Er vermutet Bequemlichkeit der Hausbesitzer, die den Wartungsärger mit der Dachantenne nicht mehr wollten.

Diese Bequemlichkeit der Eigentümer beschert der Berliner Kabelfirma RKS 10.000 neue Aufträge. Unternehmenssprecher Matthias Levy triumphiert, dass seine Firma allein am vergangenen Wochenende 700 Haushalte angeschlossen hat. Man habe bisher eindeutig von der Abschaltung der analogen Programme profitiert. Verlorene Kunden seien kaum nennenswert. Mieter K. dagegen fühlt sich ausgeschlossen: Er gehört weder zu den 70.000, die sich in den vergangenen Wochen eine moderne Set-Top-Box fürs digitale Fernsehen kauften, noch zu denen, die Neukunden des Kabelfernsehens sind.

ASTRID SCHNEIDER