„Punk ist mir lieber“

Tobias Schacht über seine Sozialstudien beim Grand Prix in Kiel – und warum er auch gerne taz-Kandidat wäre

Interview JAN FEDDERSEN

taz: Herr Schacht, ist einer, der beim Grand Prix Eurovision von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unterstützt wird, konservativ?

Tobias Schacht: Ich bin sicher ein wertkonservativer Mensch, aber ich sehe mich politisch doch eher als links.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Für mich geht der auf. Einerseits ist das ein Wunsch nach Sicherheit. Auf der anderen Seite haben mich die Linken immer mehr inspiriert.

Womit?

Mit wilden Ideen. Meine Eltern sind sehr brave Menschen, im Grunde. Die Linken haben mich dazu gebracht, auch mal auszurasten und zu sagen: Hey, hier bin ich. Oder: Hey, wir brauchen keine Statussymbole. Konservative messen dich an Äußerlichkeiten …

so wie man Boss-Outfits schon bei der Schülerunion liebt.

Furchtbar. Schon im Teeniealter sich selbst unter Krawattenzwang zu stellen. Das könnte ich niemals ertragen.

Was ertragen Sie lieber?

Punk. Das heißt, eine Haltung in sich zu tragen, die es dir ermöglicht, mal die Schnauze aufzumachen. Den Leuten nicht nur zu gefallen, gefallen zu müssen.

Der Grand Prix Eurovision ist nicht gerade das Gipfeltreffen heimlicher Punks.

Und deshalb stehe ich dieser Veranstaltung sehr hilflos gegenüber. Ich habe sie ja nie gemocht.

Und sind trotzdem der Schützling der FAS geworden.

Es war einfach verlockend. Die haben völlig mir überlassen, was ich mache. Keine konzeptionellen Vorgaben. Es ging nur um die Authentizität, nicht darum, ob etwas funktioniert. Natürlich will ich hier auch funktionieren, aber ich habe auch Angst davor, mich in diese Welt zu begeben. Aber ich hätte ebenso gut für die taz ins Rennen gehen können.

Noch im Januar haben sie gelästert, die Kieler Woche sei gut für Sozialstudien.

Ja, und inzwischen träume ich davon, die Fahrkarte nach Riga zu schaffen. So ändert man sich. Aber ich denke, wenn ich meinem inneren Weg folge und nicht an das Publikum denke, kann ich meine Sachen überall spielen. Das ist mein Ansatz. Wenn ich für mich klarkriege, Tobi, du hast hier die ehrliche Chance, hier du selbst zu bleiben, dann mach es.

Sie treten ja gewöhnlich live auf. Hier müssen Sie sich in ein Sendeschema einfügen.

Ja, alles muss perfekt sein. Ich fände es besser, wenn man weniger Acts einladen würde und dafür müsste alles live sein, nicht nur der Gesang. Das wäre menschlicher.

Inzwischen machen Sie Konzessionen – und kämmen sich sogar, ehe die Probe beginnt.

Ist das nicht komisch? Da verändert man sich, ohne es zu merken. Ich bin ja nicht der schönste Mensch des Wettbewerbs. Und ich sehe die ganzen schönen Menschen mit ihren perfekten Zähnen und ihren tollen Bewegungen, ihren perfekten Körpern. Ich habe aber keinen perfekten Körper, auch keine perfekten Zähne. Ich versuche, mich vor diesen Anmutungen zu schützen. Und trotzdem weiß ich, dass auch ich eitel bin.

Ihr Lied „Die Seite, wo die Sonne scheint“ ist das einzige, das an „Ein bisschen Frieden“ anknüpft – und die Wirklichkeit des nahenden Krieges aufschimmern lässt. Ist das nicht auch ein Kalkül?

Das kann man so sehen. Aber es stimmt nicht, dass es eine Pose ist, denn ich bin Pazifist. Obwohl ich persönlich ein sehr aggressiver Mensch bin, der verbal auch schnell mal austeilt. Aber die Friedensfrage hat immer etwas mit Passivität zu tun. Wenn ich angegriffen werde, muss ich persönlich damit rechnen, nicht zu gewinnen. Und damit muss man leben können. Pazifist zu sein bedeutet, lieber zu verlieren als seine Einstellung aufzugeben.

Woraus speist sich Ihre Haltung?

Meine Generation hat den Golfkrieg Anfang der Neunzigerjahre mitbekommen. Da war ich 16 oder 17. Wir haben gelernt, dass es saubere Kriege gibt. Ich kann mich erinnern, dass ich daran geglaubt habe. Chirurgisch präzise bomben zu können. Aber das war nicht die Wahrheit.

Was ist Ihre Wahrheit?

Dass es letztendlich egal ist, ob ein Kind beim Bombenangriff stirbt oder gleich 100.000. Das macht moralisch keinen Unterschied.