Eine kulturelle Tauschbörse

Der Kreuzberger Künstler Aron Kitzig hat ein Netzwerk für Off-Kultur ins Leben gerufen. Das Ziel: Jeder soll jedem helfen, notfalls auch die Sprayerin dem Musiker. Das Überraschende: Es funktioniert

VON JONAS ZIPF

Mit den Begrifflichkeiten des klassischen Feuilletons kann Aron Kitzig, Kreuzberger Künstler und das, was man gemeinhin ein Multitalent nennt, wenig anfangen. Kitzig sitzt am Fenster seiner Wohnung am Chamissoplatz, raucht und reflektiert: „Es gibt eine Hochkultur, die uns heute kategorisch vormachen will, dass wir nichts könnten. Aber wir können was, und wir können uns im kleinen Rahmen gegenseitig dabei helfen.“ Mit solcher Kultur, kann Kitzig nichts anfangen. Mit einer, die viele Leute ausgrenzt, die sich einigelt, die einen elitären Kunstbegriff pflegt. „Es gibt einen Kanon an anerkannter und vom Staat geförderter Kultur, die sich ihr eigenes Publikum züchtet und sich mehr und mehr kommerzialisiert.“ Kitzig will außerhalb der gängigen Normen künstlerisch tätig sein und hat Leute mit ähnlichen Ansichten gefunden.

In Kreuzberg hat sich eine Kerngruppe von 30 Künstlern unterschiedlichster Sparten zusammengetan. Es gibt keinen Namen für ihr Netzwerk, manchmal nennen sie es „Institution“: Musiker, Fotografen, bildende Künstler, Sprayer, Filmer, eine Bildhauerin und Schreiberlinge treffen sich regelmäßig in Kitzigs Wohnung und schauen, wo sie sich unterstützen können. „Das Ziel ist, dass sich die Leute kostenlos helfen“, sagt er – mit Ideen und Anregungen, aber auch mit ganz praktischen Mitteln: Die Fotoprints des einen etwa können mit den Texten des anderen zusammen ausgestellt werden, obwohl beide miteinander thematisch wenig zu tun haben. „Es ergeben sich interessante Kombinationen“, erzählt Kitzig. Zum Beispiel auch Konzerte, in denen unterschiedliche Musikrichtungen unter dem Titel „sound clash“ gemischt werden.

Kitzig ist eine Art Schnittstelle der Gruppe. 1979 in Köpenick geboren, wuchs er in der DDR auf. Zur Kunst kam er früh, seine Eltern waren Dramaturgen an verschiedenen Ostberliner Theatern. Stellten 1981 einen Ausreiseantrag, dem erst 87 stattgegeben wurde. Zwischendurch ohne Anstellung, machten beide zu Hause weiter Theater – illegal: „Wir mussten die Fenster verhängen und leise sprechen.“

Kitzig hat dann so ziemlich alles gemacht, was zu einer wahren Kreuzberger Künstlerbiografie gehört. Mit zwanzig stellte er mit einem Freund unter dem Namen „Ish“ T-Shirts, Mix-Tapes und Aufkleber für Musiker her. Dann gründete er, wieder mit einem Kollegen, das nichtkommerzielle Label „Konsens Records“, organisierte Konzerte und machte – beeinflusst von Gruppen wie „Cassius“, auch Musik.

Konzerte und Mitschnitte kostenlos anzubieten gehörte damals zu ihrem Anspruch. Mit dem Veranstaltungslabel e-pool startete Kitzig ein weiteres Projekt, das sich um die Organisation der Events kümmert. „Es gibt kurze, schnelle Aktionen am Rande der Legalität.“ Von Zeit zu Zeit fahren Musiker mit einem Lastwagen an einen verabredeten Ort und halten spontane Sessions ab.

Die Gruppe wuchs schnell um weitere Musiker, DJs und Tontechniker. Mit der Zeit entstanden auch Fotos und Filme, die bei Konzerten gezeigt wurden. Inzwischen organisiert e-pool kostenlose Ausstellungen und finanziert diese durch moderate Eintrittspreise bei einigen Konzerten.

Aus alldem entstand das lose Künstlernetzwerk, ein Konglomerat unterschiedlicher Leute, das auch die integrieren will, „die erst mal nichts mit Kunst zu tun haben“. Wünscht sich Kitzig jedenfalls. „Unsere Zusammenarbeit ist am ehesten vergleichbar mit einer Jobbörse. Jeder bietet das an, was er anbieten kann: Materialien, seine Fähigkeiten und Talente, und kann dafür von denen anderer profitieren.“ Entstanden ist eine Vielzahl an Konzerten, öffentlichen Sessions, Ausstellungen oder Workshops.

Im neuen Jahr soll die Vision eines „sozialen Arbeitsnetzwerks“ realisiert werden: Genauso wie die Künstler eine Plattform des Austauschs organisiert haben, könnten sich generell Menschen gegenseitig helfen, findet Kitzig. „Die Idee ist, einen neuen Optimismus zu etablieren.“ Die technische Voraussetzung dazu soll ein Portal im Internet schaffen, in dem man sich umsonst austauschen kann.

Vom arbeitslosen Handwerker bis zum Lehrer soll der Verteiler eine Vielzahl Engagierter umfassen. „So könnte man auch von außen eine Finanzierung für Projekte Einzelner bekommen, die sonst allein keine Chance hätten.“ Außerdem plant er, mit Hilfe der Gruppe in diesem Jahr Musikfestivals in Frankreich zu betouren, ein Album zu produzieren sowie den zweiten Teil einer Ausstellungsreihe zu zeigen. Letztere trägt den Namen „futura inkognito“ und versucht ebenfalls, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Ein Optimismus, der auch der Idee des sozialen Arbeitsnetzwerkes zugrunde liegt. Was jemand wie Kitzig natürlich blumig umschreibt – als „organisch wachsenden Nährboden an Eigeninitiative und Selbsthilfe“.

Informationen und Veranstaltungen unter www.konsensrecords.com