: Riech, was mufft von draußen rein
Im Schauspielhaus Düsseldorf hat man Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ ausgegraben und meint das Kriegsheimkehrerstück wieder einmal aufführen zu müssen. Doch die Inszenierung von Martin Oelbermann, die zu nahe an Bocherts Theaterstilistik bleibt, macht nicht klar, warum
von ALEXANDER HAAS
„Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will.“ Mit ziemlicher Erbarmungslosigkeit hat sich der Untertitel von Wolfgang Borcherts 1947 an den Hamburger Kammerspielen uraufgeführtem Stück als prophetisch erwiesen. Längst ist dieser Text als quälend muffige Schullektüre abgehakt. „Draußen vor der Tür“? Das klingt heute fatal zusammen mit einigen anderen, unerbittlich hausbacken wirkenden Symbol- und Innerlichkeitstiteln der so genannten „Trümmer“- und Nachkriegsliteratur; von A wie „Wo warst du, Adam?“ über M wie „Der gute Gott von Manhattan“ bis T wie in Eichs „Träumen“. Es ist, als ob man sich nicht mehr daran erinnern könnte, worum es bei alledem eigentlich noch mal ging. Oder?
Trümmer liegen in Kriegszeiten wie diesen immerhin genug herum. Borcherts Untertitel war damals bitterer Sarkasmus, Galgenhumor des Kriegsheimkehrers und kurz darauf mit 26 Jahren Gestorbenen. Auch von solchen gibt es heute wieder viele. Aber die Situation ist eine andere: Die aktuellen Kriege sind zwar nicht so umfassend wie die älteren, dafür aber sozusagen an der Tagesordnung; nicht zuletzt der medialen. Denken und Sprechen über Krieg funktioniert heute anders als 1947.
Insofern präsentierte sich einem die Düsseldorfer Ausgrabung vorab als zweischneidige Angelegenheit. Vielleicht könnte es ja doch wieder interessant sein, dieses allegorienhafte Stationendrama vom Kriegsheimkehrer Beckmann, sein düsterer Trip durchs zerbombte Hamburg. Auffällig sind heute auch die alltäglichen Floskeln und Verhaltensweisen, die Borchert seinem Text eingeschrieben hat. Mysterienspielartige Figuren wie „der Tod“, „Gott“ oder „die Elbe“ lassen die Hauptfigur auflaufen, die sich lieber umbringen will, als eine existenzielle Enttäuschung nach der anderen ertragen zu müssen: „Einfach so ins Wasser jumpen?“, „Typ Ophelia mit Wasserrosen im aufgelösten Haar?“ Und der Tod rülpst, weil er zu viel gefressen hat.
Kaum zu glauben, aber die Inszenierung des 1969 geborenen Regisseurs Martin Oelbermann übernimmt Borcherts Stilistik eines mittelalterlichen Theaters mit Zeigecharakter. Vier Schauspieler stellen die über zehn Figuren dar, gespielt wird auf einer viereckigen Fläche, eingefasst von zwei sich gegenüberliegenden Publikumstribünen. Oelbermann übernimmt auch den Allegoriencharakter der Figuren unverändert – und lässt ihn konsequent steif interpretieren, vor allem im Fall des „Mädchens“, dem Beckmann begegnet, und des Tods (beide Claudia Burckhardt). Kostüme und Requisite arbeiten mit bewusst naiven Mitteln. Das Ganze mündet in einer Inszenierung, die über weite Strecken nicht mehr bietet als die 1:1-Vermittlung eines Texts aus der unmittelbaren Nachkriegszeit über die inzwischen sprichwörtliche „Unbehaustheit“ des Heimkehrers. Dass das nicht gut gehen kann, dürfte in Zeiten, in denen das Stichwort „Eigenheimzulage“ zu erbitterten Debatten führt, wohl klar sein. Die Frage aller Fragen, warum die Düsseldorfer meinten, dieses Stück auf den Plan rufen zu müssen, bleibt unbeantwortet. Und sie bleibt dann auch der stärkste Punkt dieses Abends.
Die Aktualisierungen, die Oelbermann vornimmt, bewegen sich allesamt auf der Ebene des Handwerks, reichen nie an eine Antwort auf jene Frage heran. Dabei gelingen dem Regisseur schon wirkungsvolle Szenen. Gleich am Anfang ist zum Beispiel noch Hoffnung: Borcherts Erzähler steigt mit Mikrofon in der Hand über einen Steg auf die schräge Fläche, die Marc Thurow noch hinter die beiden Publikumstribünen gebaut hat. Das Mikro erweist sich als Retter in der Not, hätte Oelbermann es weggelassen, wäre einem der Text noch ferner geblieben. Tim Egloff als Erzähler (und später „der Andere“) schwenkt von seiner Rede plötzlich über in eine Kaskade brutaler, militärischer Drill-Kommandos. Till Firit ist Beckmann und robbt über die Spielfläche. Das hat unmittelbare körperliche Evidenz. Genauso, wenn Firit Beckmanns zerrissene Psyche vorführt, indem er zwei Figuren gleichzeitig entstehen lässt: Mit zwei Mikros in der Hand brüllt er in rasendem Wechsel, ins eine: „Beckmann, Beckmann!“, ins andere: „Ich will nicht mehr Beckmann sein!“
Oelbermanns Gespür für starke szenische Arrangements hat er in Düsseldorf zuletzt bei der Uraufführung von Jelineks „Liebhaberinnen“ bewiesen. Diesmal reicht das nicht mehr. Borcherts expressionistisch aufgeladener Empörungsgestus drückt zu schwer, ist zu anachronistisch. Schnell malträtiert einen wieder die lästige Dauerfrage dieses Abends. Über eine Aufführung von „Draußen vor der Tür“ 1995 in Stuttgart schrieb ein Kritiker: „Der blutrote Himmel des Bühnenbilds beleuchtet auch das verwüstete Grosny.“ Die Düsseldorfer Inszenierung spart sich solche Gegenwartsbezüge. Kabul? Bagdad? Krieg dem Terror? Dann doch lieber saftiges Schauspielertheater mit Heinz Kloss als flottem Kabarettdirektor oder der gepressten Allegoriendiktion von Claudia Burckhardts Elbe-, Tod -und Mädchenfigur. Theatermuff, fast wie 1947.
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