Gunther von Hagens’ Leichenhandel
: Voyeuristischer Ausnahmezustand

Die Skandalisierung von Gunther von Hagens und seiner Ausstellung „Körperwelten“ hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Totgesagt ist die Schau deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil: Sie lebt vom Skandal.

Die moralischen und ethischen Bedenken, selbstverständlich. Der Ekel beim Anblick der fein scheiblierten und drapierten Leichen, nicht mehr der Rede wert. Damit lässt sich die Öffentlichkeit nicht mehr erregen. Wer gegen Gunther von Hagens’ zu Recht umstrittene Anatomie-Event-Kunst und sein Wanderspektakel „Körperwelten“ mobil machen möchte, muss mit einem Skandal aufwarten, der die wenigen Tabus betrifft, die die Schau selbst noch nicht berührt hat. Jeder Skandal um die Schau ist daher zweischneidig: Er deckt auf, erhöht aber nur die Lust am voyeuristischen Blick.

„Dr. Tod“ titelte Der Spiegel, darunter der Kopf von Hagens’ zwischen zwei grinsenden Skeletten. Der Vorwurf, von Hagens habe Leichen von Hingerichteten aus chinesischen Strafgefangenenlagern gekauft und verwertet, schlägt ein. Die Aufregung ist garantiert. Ablesen lässt sich an ihr kein moralischer Sieg über die Praktik des Präparators. Die Aufregung spiegelt eine Gesellschaft, die im Zustand der dauervoyeuristischen Umnachtung ihre animalischen Instinkte und Triebe gerade wieder entdeckt. Vom Fernseh-Dschungel-Camp bis zu den Leichen ist es nicht weit, weil die Faszination am Schauen proportional zur ausgeübten Grausamkeit steigt.

War es bis vor kurzem noch eine freiwillig der Forschung vermachte Leiche, so starren die Besucher der Ausstellung nun auf die eines Hingerichteten. Auf das Ergebnis eines ominösen Leichenhandels. Von Hagens selbst wollte sich dazu noch nicht äußern. Die Heidelberger Staatsanwaltschaft prüft, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Der Skandal ist perfekt. Das Spektakel lebt weiter. SUSANNE LANG