Hungerstreik für freie Wahlen

Im Iran wächst der Widerstand gegen die Entscheidung des Wächterrates, reformorientierte Kandidaten von den Wahlen auszuschließen. Rufe nach einem Boykott werden immer lauter. Doch die Konservativen wollen auf keinen Fall nachgeben

von BAHMAN NIRUMAND

Seit Samstag befinden sich mehr als hundert iranische Parlamentsabgeordnete tagsüber im Hungerstreik. Damit soll dem vor neun Tagen begonnenen Sitzstreik mehr Nachdruck verliehen werden. Ferner erklärten die Abgeordneten, dass sie nacheinander ihr Mandat niederlegen werden. Ihr Protest richtet sich gegen die Entscheidung des von Konservativen beherrschten Wächterrats, 3.605 der 8.157 Bewerber, darunter 83 Abgeordnete, von der Parlamentswahl am 20. Februar auszuschließen.

Die Abgeordneten fordern die vollständige Rücknahme der widerrechtlichen Ablehnungen. „Wir sind bereit, jeden Preis für die Verteidigung freier Wahlen zu zahlen“, sagte Parlamentsvizepräsident Mohammad Resa Chatami, Bruder des Präsidenten. Chatami, der zugleich Chef der Moscharekat-Partei, der größten Partei des Landes, ist und selbst zu den abgelehnten Parlamentsabgeordneten gehört, betonte: „Ohne freie Wahlen hat die Demokratie keine Bedeutung. Wir werden uns trotz Empfehlungen und massiver Gewaltandrohungen unter keinen Umständen auf Kompromisse einlassen.“ Er kündigte weitere „friedliche und legale“ Aktionen an.

Inzwischen ist das Parlamentsgebäude von Ordnungskräften umstellt. Anlass für die Mobilisierung lieferte eine Erklärung des „Islamischen Rats“ in der heiligen Stadt Ghom, in der es heißt: „Zweitausend Geistliche und Zivile haben sich zu einem Marsch nach Teheran und einem Sitzstreik vor dem Parlament gemeldet. Sie werden sich, sobald sie die leiseste Gefahr für den islamischen Staat spüren, auf den Weg machen.“ Ratssprecher Rawanbachs warnte: „Wenn der Wächterrat seinen Entschluss, die Verderber und Lakaien des Auslands von den Wahlen auszuschließen, revidiert, werden wir diesen schändlichen Rückzieher nicht hinnehmen.“

In mehreren Städten organisierten die Konservativen Demonstrationen, bei denen Parolen wie „Das Parlament muss von Lakaien und Verderbern gesäubert werden“ skandiert wurden. Demgegenüber haben 350 Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft in einer namentlich unterzeichneten Erklärung bekannt gegeben, dass sie die Forderungen der Streikenden unterstützen und ebenfalls in einen Hungerstreik getreten seien.

Die Fronten verhärten sich. Staatspräsident Mohammed Chatami und Parlamentspräsident Mehdi Karrubi bemühen sich um Vermittlung und selbst Revolutionsführer Ali Chamenei hat unter dem Druck der Öffentlichkeit die Mitglieder des Wächterrats angewiesen, die Ablehnungen noch einmal zu überprüfen und die abgelehnten Parlamentarier, falls keine Beweise gegen sie vorliegen, wieder zuzulassen. Der Sprecher des Wächterrats, Ibrahim Asisi, erklärte jedoch, der Rat werde „auf keinen Fall nachgeben und „Kandidaten ohne Loyalität zum Islam und zur Verfassung“ zulassen.

Auf der anderen Seite haben fast sämtliche Provinzgouverneure, mehrere Mitglieder der Regierung und hohe Funktionäre des Staates mit Rücktritt gedroht. Das Innenministerium erklärte, sollten die Ablehnungen nicht zurückgenommen werden, könnten die Wahlen nicht stattfinden. Selbst der „Rat kämpfender Geistlicher“, der zum rechten Rand der Reformbewegung gehört, beschloss am Montag, sollte eine freie Wahl nicht gewährleistet sein, werde der Rat sich daran nicht beteiligen.

Der Ruf nach einem Wahlboykott wird immer lauter. Die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi meinte, sollte die Wahl unfrei sein, werde das Volk sie boykottieren und „so dem Regime die Legitimität absprechen“.

Auffallend ist, dass die Bevölkerung bei dieser Auseinandersetzung zwischen Reformern und Konservativen passiv bleibt. Grund ist die Enttäuschung über das Reformparlament bzw. die nicht eingelösten Versprechen der Regierung Chatami, die mehr um Kompromisse mit den Konservativen bemüht war, als gegen die herrschende Willkür Widerstand zu leisten.

Allerdings könnte sich, wenn die streikenden Abgeordneten standhaft bleiben, das Blatt in den nächsten Tagen wenden. Es ist die letzte Chance für die Reformer, die verlorene Akzeptanz beim Volk zu retten. Sollten sie ihren Widerstand aufgeben oder halbe Lösungen akzeptieren, wäre das Scheitern der Reformen von oben endgültig besiegelt.