Der Nachbarsjunge

Kanzlerimitator Elmar Brandt ist nicht wirklich witzig. Er weiß nur um die Ängste der Deutschen – und das lässt er sie spüren

aus Kiel JAN FEDDERSEN

Elmar Brandt ist ein Superstar. 1,2 Millionen verkaufte Tonträger des Steuersongs, mit dem der Mann aus dem Rheinischen dem Zeitgeist der Republik im vorigen Frühwinter alarmierend seine Tonspur verpasste. Eine Marke, die selbst einen Grönemeyer und dessen Titel „Mensch“ in den Abrechnungen hinter sich ließ. Allein: In Kiel fällt er nicht auf. Fragt sich nur, ob er nur hier, als Favorit um die deutsche Grand-Prix-Vorentscheidung, so wenig Eindruck hinterlässt – oder ob ihm diese Gabe eigen ist wie, als sein Antipode, Guildo Horn im Kanzlerwahljahr 1998. Der hat auch nie den Regierungschef angegriffen – und hat ihn doch als Ausdruck eines nötigen Wechsels genommen. Doch anders als Brandt, der selbst im Interview seinem Manager Peter Burtz das Wort überlässt, war Horn ein Kasper, ein Spaßvogel, ein Mann mit Eigenschaften.

Und eben dies kann von Elmar Brandt nicht gesagt werden. Der 31-Jährige bewegt sich in der Hotellobby, im Frühstücksraum, im Restaurant oder einfach an der Conciergerie, als sei er ein Autogrammjäger, der auf eine Signatur eines Superstars wartet: geduldig, bescheiden, freundlich, nie genervt. Brandt kann in Kiel alles machen, aber man erhört ihn nicht. Was er auch macht – sei es, dass er im Hamburger HSV-Stadion Wahlkampf für seinen Grand-Prix-Titel „Alles wird gut“ betreibt; sei es, dass er mit Hilfe der Bild-Zitung darüber berichtet, dass er an einer Erkältung leide –, niemand fühlt mit ihm, keiner macht sich seelisch sein Schicksal zu Eigen.

Womöglich ist Brandt, der eine Neigung zu beigebraunen Cordhosen hat, also zur textilen Nummer Sicher, das sogar nur recht. Glamour ist seine Sache nicht, und jedes Lächeln belegt dies. Nie schallt es laut aus ihm heraus. Immer ist da etwas, was ihn daran hindert, mal wirklich Dreckiges auszuprusten. Ihm scheint die Selbstreflexion, das Gefahrlose, das Eingebundene im Fleisch zu sitzen wie eine selbst zugefügte Narbe – und das macht ihn seit dem 22. September für die rot-grüne Stimmungslage in der Republik so gefährlich: So einer ist die Angela Merkel der Situationskomik, die christdemokratische Antwort auf Guildo Horn und seinen nutzlosen Frohsinn.

Was er kann, ist eine Komik zu befördern, die mit Stimmenimitation beginnt und auf der die Kanzlerschelte aufbaut. Mehr ist nicht nötig. Nie hat man das Gefühl, die Scherze kämen von ihm, sprudelten aus ihm heraus. Stattdessen souffliert ihm Burtz, der weiß, wie man ein Konzept durchzieht, weil der auch schon Guildo Horn zum big shot gemacht hat. Nur die Zeiten sind eben anders: So wie Horn seinen Kreuzzug der Liebe nicht antreten könnte, weil die Zeiten nicht danach sind, so persifliert Brandt mit wenigen Worten die Ideenlosigkeit der Regierung. Möglicherweise, weil er diese Fantasiearmut selbst als Folie verkörpert.

Elmar Brandt ist dabei nicht gefährlich, weil er rabaukig werden könnte. Oder unflätig. Oder frech. Nein, ganz missverständlich. Er ist so dreist, auf unangreifbare Weise die heimliche Angst aller Deutschen zum Thema gemacht zu haben: ihre Furcht, die Sozen plünderten ihre Sparstrümpfe. Dass Kanzler Schröder ihm den Gefallen tat, öffentlich seinem Missbehagen über diesen Komiker Ausdruck zu verleihen – umso besser für Brandt und seine Plattenfirma.

In Kiel macht er kein Aufhebens um sich und seine Show. Im Hotelzimmer ist das Equipment für seine Radioshow aufgebaut, aus dem Leben an der Hotelbar hält der Ehemann sich zurück. Er scheint mit sich im Reinen, weil er doch nur sagt, was er und die Seinen fühlen. Er macht Witzchen, die verstanden werden, weil er so nett daherkommt. So wie ein Nachbarsjunge. Unauffällig, aber hartnäckig. Er gilt als Favorit, doch attestiert man ihm nicht diesen überbordenden Bonus, mit dem Guildo Horn oder Stefan Raab ins Grand-Prix-Rennen gingen. Man wird sich täuschen. Denn sein Lied ist eingängig, ein Schlager ohne Sangeskunst. Macht ja nix: Beim Pop braucht es keine drei Oktaven. Was Brandt eindringlich unterstreicht. Er verfügt nicht mal über eine halbe, außer wenn er lachend Schröder nachäfft.

Er wird gewinnen. Die Deutschen lieben einen wie ihn. Er weiß um ihre Ängste – und das lässt er sie spüren. Niemand kann ihn wohl stoppen – nicht einmal eine Erkältung. Nur wenn durchschiene, dass seine Seele kalt scheint, könnten die anderen seinen Triumph aufhalten. Es deutet nichts darauf hin, dass dies zeitgeistig wirklich zählt. Elmar Brandt muss nach Riga – er wäre Deutschlands repräsentativste Fototapete für Europa.