Jetzt wird es verdammt ernst

Wolfgang Clement schmeichelt, bittet, fleht – und droht. Der SPD-Wirtschaftsminister hat harte Arbeit zu erledigen. Nach einer halben Stunde Rede im verrauchten Wolferstedter Keller tropft ihm der Schweiß vom Ohrläppchen aufs dunkle Jackett. Als Hauptredner beim Politischen Aschermittwoch der bayerischen SPD in Vilshofen muss er 700 Sozialdemokraten an langen Biertischen ein paar Paradoxien der aktuellen Regierungspolitik erklären.

Zum Beispiel den Widerspruch zwischen einer traditionellen Gerechtigkeitsvorstellungen, die Bundeskanzler Gerhard Schröder noch im Bundestagswahlkampf hochgehalten hat, und der jüngsten Ansage des Regierungschefs, im Dienste des Kampfs gegen die Arbeitslosigkeit müssten nun auch die Gewerkschaften bluten. Das hatte Schröder nach dem endgültigen Scheitern des Bündnisses für Arbeit zu Beginn der Woche durchblicken lassen.

Der Westfale Clement, der die Bayern mit dem „Glück auf!“ des Bergmanns begrüßt, löst den Konflikt auf seine Weise. Er versucht, ihn mit dem Mantel der Gemeinsamkeit zu bedecken. Zuerst schmeichelt er seinem Publikum, erzählt aus Peking, „wo ich im Stau stand, um mich herum nur Volkswagen“, dann aus Schanghai, wo alle mit dem deutschen Transrapid schweben. Clement: „Ich bin stolz auf das, was die Menschen in Deutschland leisten.“ Das aber reiche nicht mehr – womit der Wirtschaftsminister beim Bitten angekommen ist. „Machen Sie mit, tun Sie mit!“ Alle sollen „den Weg gemeinsam gehen, den wir gehen müssen“. Runter mit den Lohnnebenkosten, Schluss mit der Inflation bei den Sozialbeiträgen, nieder mit der Erwerbslosigkeit. Die Straße der Reformen ist zwar lang und steinig, aber eine Abkürzung gibt es nicht.

Als Clement auf das Bündnis für Arbeit zu sprechen kommt, schwingt in seiner Stimme ein flehender Ton. „Ich bedauere das Scheitern“, aber noch sei es nicht zu spät. „Auch die Tarifparteien dürfen sich nicht entziehen.“ Und wenn die Herren Unternehmer und Gewerkschaftsfunktionäre trotzdem nicht wollen? „Dann ist alles zumutbar.“

Diese Drohung aus dem Munde von Schröders Trouble-Shooter Clement trifft die etablierten Lobbyverbände ebenso wie die jugendlichen Arbeitsverweigerer, die bei fortgesetzter Renitenz eben „auf öffentliche Leistungen verzichten müssen“. Null Toleranz für Widerständler und Drückeberger. Die neue sozialdemokratische Härte, Tusch der Blaskapelle, Clement: „Glück auf!“

HANNES KOCH

Das sind sehr ernste Zeiten, in denen wir leben“, sagt Guido Westerwelle gleich zu Beginn seiner Rede in Passau, und natürlich war genau dieser Satz zu erwarten. Denn was eignete sich besser als der Politische Aschermittwoch für den Nachweis, dass der Spaßwahlkampf endgültig vorbei ist? Dass der FDP-Vorsitzende kein Bruder Lustig ist, sondern ein seriöser Mann, auf den man sich gerade im Zeichen der Krise verlassen kann?

Er muss diesen Nachweis schnell erbringen, will er verhindern, dass die Parteibasis ihn bei seiner Wiederwahl im Mai abstraft für Skandale und enttäuschende Wahlergebnisse. Er wird es nicht schaffen. Die Wiederwahl – durchaus. Mangelnde Alternative hat schon viele Politiker im Amt gehalten. Aber nach seiner Rede steht fest: Nie mehr wird Guido Westerwelle den dynamischen Hoffnungsträger geben können.

Dabei macht er in Passau nichts falsch. Brav, fleißig und strebsam liefert er seinen Anhängern alles, was sie von ihm erwarten dürfen. Heftige Angriffe auf die Bundesregierung und vor allem auf die Gewerkschaften: Eine „Inkarnation des 19. Jahrhunderts“ nennt Westerwelle die DGB-Funktionärin Ursula Engelen-Kefer, und energisch sagt er auch: „Die Reden von Herrn Schröder sind mir scheißegal, ich will Taten sehen.“ Booah ey, der traut sich was. Oder?

Gar nichts traut er sich. Allzu berechnet wirkt der Kraftausdruck. Da wird nicht einer von seinen Gefühlen übermannt, da hat einer überlegt, dass solche Wörter gerne zitiert werden. Die wahren Gefühle zeigt Westerwelle an anderer Stelle, und es sind andere Gefühle. Gekränkt und frustriert wirkt er, als er – wieder einmal – darlegt, was er sich so vorstellt: Lockerung des Kündigungsschutzes, bessere Bildungspolitik, Senkung der Staatsquote, Rentenrefom, Gesundheitsrefom, niedrigere Steuern. Und so weiter und so fort. „Wir haben das doch alles vorgerechnet“, sagt er beschwörend ein ums andere Mal. Der Eindruck will nicht weichen, dass der Redner die Lust am eigenen Vortrag verloren hat. Obwohl er doch alle Register zieht, sogar das der Gefühligkeit.

Oft spreche er mit jungen Menschen, die einfach nur ihr „kleines Glück“ organisieren wollten und den Freund oder die Freundin zur Pizza einladen möchten. Denen müsse der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden: „Wir sind die wahre soziale Bewegung in Deutschland.“ Weil es nämlich sozial sei, Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist wahr. Aber man wird den Verdacht nicht los, dass Westerwelle die soziale Frage – um in seinen Worten zu sprechen – „scheißegal“ ist. Und es ihm einfach nur um eines geht: um Guido Westerwelle.

Das ist menschlich verständlich, aber sympathisch ist es nicht. Wer mag schon einen beleidigten Musterschüler? Was immer man dem FDP-Vorsitzenden früher vorwerfen konnte, unterhaltsam war er allemal. Über seine Sprüche haben oft auch die politischen Gegner gelacht. Das ist vorbei. Anspannung und Unsicherheit sind dafür keine guten Voraussetzungen.

Auch in Passau streut Westerwelle einige Kalauer ein: „Früher hat man gesagt, der Winter macht arbeitslos, heute macht es auch der Sommer“, sagt er in Anspielung auf den DGB-Vorsitzenden. Ein paar höfliche Lacher, die schnell ersterben. So reagieren Leute, wenn jemand einfach nicht aufhören will, Witze zu erzählen. Westerwelle erweckt den Eindruck, an seine eigene Wirkung nicht mehr zu glauben. Etwas Schlimmeres kann einem Politiker kaum passieren. Es ist mitleiderregend. BETTINA GAUS

Am Ende ist alles wie immer am Politischen Aschermittwoch der CSU. Edmund Stoiber lässt sich feiern und dirigiert, ungelenk wie immer, den Chor der CSU-Fans in der Nibelungenhalle. „Oh, wie ist das schön“, singen die 6.000, „so was hat man lange nicht gesehn!“ Doch der ganze Jubel wirkt diesmal ein wenig trotzig. Eigentlich, daran können weder Gesang noch Bier etwas ändern, hätte man gerne mehr gesehen: den Bundeskanzler nämlich.

Vor einem Jahr hatte Stoiber an selber Stelle angekündigt, dass im Jahr 2003 „zum ersten Mal in Passau der Bundeskanzler am Aschermittwoch spricht“. Daraus ist nichts geworden – und das nagt an ihm. Auf den Abstieg in die Niederungen der bayerischen Landespolitik hat er keine Lust. Er fühlt sich nach wie vor zu Höherem berufen – und bringt dies schon per Kleiderwahl zum Ausdruck. Wie als Kanzlerkandidat hat er den Trachtenanzug im Schrank gelassen. Und wie vor einem Jahr redet Stoiber zweieinhalb Stunden lang so gut wie gar nicht über Bayern, obwohl dort immerhin bald Landtagswahlen anstehen, sondern über die Bundespolitik. Und da gibt es nichts zu lachen. Denn, so Stoiber: „So ernst wie heute war es für Deutschland noch nie.“ Schuld daran ist natürlich Gerhard Schröder, „der schlechteste Kanzler aller Zeiten“. Dass er gegen diesen Mann verloren hat, obwohl Schröder „es nicht kann“, hat Stoiber nicht verwunden. Als einzigen Grund für seine Niederlage sieht er nach wie vor die „Kriegsangst“, die Schröder geschürt habe.

Auch von der Regierungserklärung am 14. März sei nichts zu erwarten. Die sei nur „die soundsovielte Rede“. Was er selbst anders machen würde, verrät Stoiber nicht. Vielleicht kommt das ja am 24. März. Dann, so Stoiber, werde die CSU einen „Sanierungsplan für Deutschland“ präsentieren. Gestern begnügte sich Stoiber mit der schlichten Forderung: „Schröder muss weg!“ So sehr steigert sich Stoiber in sein virtuelles Duell mit Schröder hinein, dass er gar nicht merkt, wie das außerhalb der Nibelungenhalle wirkt: Hier hadert ein schlechter Verlierer mit dem Schicksal. Hier arbeitet sich einer immer noch an seinem Gegner vom letzten Jahr ab.

Der als Trost gemeinte Jubel der eigenen Leute hilft ihm wenig, wie er offen zugibt: „Alle, die heute hier sind, waren immer schon die Klügeren.“ Ja, der bierselige Rahmen scheint ihn zu stören. Er ist doch ein Staatsmann – oder: Er wäre es so gern. „Das ist hier keine Gaudi!“, sagt er den Anhängern streng, die „Edmund, Edmund!“ rufen.

LUKAS WALLRAFF