h.g. hollein Junger Tag

Die Frau, mit der ich lebe, hat das frühe Aufstehen für sich entdeckt. Es ist ein Grauen. Kaum müht sich das Licht des jungen Tages durch unsere Fenster, hebt ein geschäftiges Klappern der Saftpresse an, zischt der Wasserkessel für den Schnellkaffee, rascheln die Seiten der taz, dazwischen das betont leise eifrige Tapsen barer Gefährtinnenfüße: „Schlaf du nur weiter, Schatz.“ Das würde ich in der Tat auch wollen, schließlich ist es einer der Vorzüge des kreativen Freiberuflertums, dass man seine Arbeitszeit der biologischen Leistungskurve anpassen kann. Und meine verläuft bis halb elf Uhr morgens da, wo das Politbarometer seit geraumer Zeit die SPD verortet. Aber es soll eben nicht mehr sein. Kaum bin ich halbwegs wieder weggedämmert, traktiert die Gefährtin mit rhythmischem Quieken und unter dampflokartig-inbrünstigem Gepuste im Nebenzimmer ihren Stepper. Anschließend schnarrt die elektrische Zahnbürste ihr munteres Liedchen, und dann naht unweigerlich der Moment, den ich am meisten fürchte. Der Zeigefinger der Gefährtin strebt auf den Sensor des Radioweckers zu, woraufhin mir ein „Where‘s your mama gone?“-artiges Bassgestampfe um die Ohren bläst. So schleppe ich denn den Zombie meiner sterblichen Hülle ins Bad und stelle ihn dortselbst unter der Dusche ab. Da zumindest herrscht Ruhe. Fließendes Wasser blendet –wie jeder Abhörspezialist weiß – jedes Nebengeräusch aus. Derweil pflege ich einigermaßen erbittert darüber nachzusinnen, wie es die Gefährtin nur schaffen konnte, mich schlappe 22 Jahre lang über ihre hyperaktiven Neigungen hinwegzutäuschen.