Rosen gibt‘s jetzt immer

Am 8. März ist Frauentag – östlich und westlich der Elbe. Und doch gibt es einen entscheidenen Unterschied

Es gibt einen Tag im Jahr, der Deutschland noch immer teilt – der Frauentag. Denn während Musterfrau West wie an jedem anderen Morgen zuerst aufsteht, die Kinder schulfertig macht, den Gatten abfrühstückt und dann ins Büro geht, macht Musterfrau Ost das an diesem Tag nicht.

Zumindest versucht sie den Wecker zu überhören, bis sie es im Bett nicht mehr aushält, heimlich ins Wohnzimmer schleicht und dem Tisch einen vorsichtigen Blick zuwirft. Es könnte ja sein, es ist diesmal so wie früher: Der Frühstückstisch ist gedeckt und eine rote Rose steht neben ihrem Teller. Nicht dass die Blume besonders schön gewesen war, aber sie wusste, dass ihr Männe dafür die Verkäuferin mit einem Glas Pflaumenmus bestochen hatte, das er zu diesem Zweck gegen tschechisches Bier eintauschen musste. Und das war wirklich ein großes Opfer.

Aber der Tisch sieht aus wie gestern abend, also macht sie die Kinder schulfertig, frühstückt den Gatten ab und geht selbst ins Büro.

Früher hatte der Genosse Gruppenleiter – der heute ihr Teamchef ist – am Frauentag eine Endlos-Rede gehalten. Die zerrte an den Nerven, weil erst danach die Prämien verteilt wurden. Allerdings hielt sich die Überraschung sowieso in Grenzen, denn die Spielregeln waren ganz einfach: Wer im letzten Jahr leer ausging, konnte sich in diesem Jahr mindestens über einen „Fünfziger“ und eine Rose freuen. Am Nachmittag servierte der Genosse Betriebsdirektor – der heute ihr Geschäftsführer ist – in der Kantine eigenhändig den selbst gebrühten Kaffee.

Nach Feierabend hatte sich die „Frauenbrigade der sozialistischen Arbeit“ einen Tisch im Ratsweinkeller sichern können. Normalsterblichen gelang das so gut wie nie und schon gar nicht am Frauentag. Gut, dass eine Kollegin mal was mit dem HO-Gaststättenleiter hatte, und der sie offenbar in guter Erinnerung behielt. Nach mehreren Flaschen Rosenthaler Kardarka, die der verflossene Gaststättenleiter unter der Theke versteckt hatte, stieg die Stimmung der Mädels, und nur die Rosen im Sektkühler ließen langsam die Köpfe hängen. Am nächsten Tag waren alle ziemlich kaputt: die Frauen vom Feiern, der Gruppenleiter vom Reden und der Betriebsdirektor vom Servieren. Das war immer so, bis vor 13 Jahren.

Heute ist Musterfrau Ost wie an jedem Tag als Erste im Büro, begrüßt den mürrischen Teamchef mit einem bezaubernden Lächeln und serviert dem Geschäftsführer erst mal einen Kaffee.

Irgendwie, denkt sie, hätten Rosen am Frauentag jetzt sowieso keinen Reiz mehr, denn es gibt sie ja das ganze Jahr – im Blumenladen. ELKE RICHEL