Mit Psalmen und Lockenwicklern

Sie ist eine Seltenheit in einer Männerdomäne: Cordula Caspary ist Bestatterin. Am Umgang mit dem Tod, sagt die Kulturwissenschaftlerin, lässt sich viel von einer Gesellschaft erkennen

Cordula Caspary weiß, wie tote Menschen aussehen. Wie sie sich anfühlen. Wie sie gewaschen werden und angezogen für den letzten Akt, in dem sie die Hauptrolle spielen. Cordula Caspary ist Bestatterin – was eine Seltenheit ist. Nicht nur, dass sie sich als Frau in einem von Männern dominierten Gewerbe einen Namen gemacht hat. Sie ist Freiberuflerin. Hat kein eigenes Institut mit Aufbahrungsraum, mit Überführungswagen, mit einer Auswahl von Urnen und Särgen. Obwohl – einen Sarg hat Cordula Caspary immer in der Nähe. Der Sarg steht im Schuppen. Unter einer grauen Decke und zwischen Kinderfahrrädern schimmert das matt glänzende Holz hervor und duftet sogar ein bisschen.

Sie hat ihr Handy dauernd auf Empfang, und wenn es schnell gehen soll, leiht sie sich das Auto von der Nachbarin und fährt samt Sarg zu den Menschen, die sie gerufen haben. Aber schnell muss es nicht unbedingt gehen. Das wissen die wenigsten: Ein Mensch, der gestorben ist, muss nicht sofort verschwinden. Im Kühlraum, im Sarg. Die Hinterbliebenen haben Zeit für ihren Abschied. „Das, finde ich, ist das Wichtigste“, sagt Cordula Caspary, „dass der Umgang mit dem Verstorbenen würdig und angemessen ist.“ Und im Rhythmus derer geschieht, die ihm nahe standen.

Diesen Rhythmus, die Bedürfnisse der Nächsten versucht Cordula Caspary herauszufinden, wenn sie ankommt. Und wenn sie es weiß, hat sie ein Netzwerk von Kontakten, um die Bestattung so zu organisieren, wie es wirklich sein soll. Sie arbeitet mit anderen Bestattungsinstituten zusammen, die ihre Räume und Fahrer zur Verfügung stellen. Cordula Caspary führt dann Regie. Und begleitet die Menschen, die bleiben.

Seit sechs Jahren ist die gelernte Kulturwissenschaftlerin im Geschäft. „Ich habe viele Menschen verabschiedet“, sagt sie. So kam es, dass sie sich bereits im Studium ausführlich mit dem Thema Sterben und Bestatten beschäftigte. „Wenn man sich eine Bestattungskultur ansieht, versteht man viel von einer Gesellschaft“, erzählt sie. „Das, was kein Geld bringt, wird nicht gemacht“, beobachtet sie oft. Bestes Beispiel: das Totenhemd. Vorne verrüscht, hinten nicht da. Denn hinten sieht’s ja keiner mehr. Ein besseres Lätzchen, „eine Frechheit“, findet Cordula Caspary. Oder die Tatsache, dass tote Frauen weniger wert sind als tote Männer: Ihre Traueranzeigen sind kleiner, ebenso ihr Grabschmuck – und Frauen werden viel öfter anonym bestattet als Männer.

Nach ihrem Studium begann die heute 36-Jährige in einem Bestattungsinstitut als Praktikantin. Hier arbeitet sie in der Leichenhalle – eine Arbeit, die sonst nur Männer machen – bereitet die Toten auf die letzte Feier vor. Sie lernt die „Achtlosigkeit und Lieblosigkeit“ kennen, mit der Tote behandelt werden, „als Entsorgungsproblem“, sagt sie. „Total berührend“ sei es, „wie Menschen sich im Tod verändern.“ Bei denen, die Cordula Caspary verlor, hatte sie das Gefühl, „die Seele tobt noch drumherum.“

Seit dreieinhalb Jahren ist sie selbstständig. Lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in ihrem Haus in Gröpelingen. Auf dem Holzboden in der Küche sitzt eine schwarze Katze mit weißem Flaum am Bauch. Sie heißt Knoten – das nämlich sagte die jüngste Tochter, ganz beschäftigt mit ihrer Halskette, als die Mutter fragte, wie das kleine Tier heißen solle. Knoten guckt Cordula Caspary zu, wie sie telefoniert. Termine ausmacht, freundlich, sicher. Eine ganz konventionelle Bestattung organisiert und es unbemerkt von der Trauergemeinde möglich macht, dass die Kinder die Innenseite des Sargs, in den ihr toter Vater gebettet ist – Caspary: „Ich sage betten statt einsargen“ – mit Psalmen beschriften können. Dass andere ihre tote Mutter mit deren bester Lotion einreiben und ihr noch Lockenwickler ins Haar drehen, dass ein Verstorbener nicht in die Kühlkammer kommt, obwohl die Schwester im Krankenhaus das ankündigt – sondern nach Hause. sgi