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Die Strecke runter wie die Wilden

Ostrachtaler Hornerrennen: Die kühnsten Schlittenfahrer rasen durch das Allgäu

Bei den Abfahrten geht es um Zehntelsekunden, wie bei einem Skirennen

Der Fangzaun in den Kurven macht es deutlich: Schlittenfahren zum puren Vergnügen ist etwas anderes. Nein, bei diesen Rennen geht es ganz gehörig zur Sache, es geht um Zeit, um Punkte. „Wir kommen da durchaus auf 70 bis 75 Stundenkilometer“, erklärt Manfred Waltner, Kommentator des „Ostrachtaler Hornerrennens“, das an diesem Samstag stattfindet.

Das Ostrachtal liegt ganz in der Nähe von Hindelang im Allgäu, unweit des Oberjochs. Hörnerschlitten sind in manch abgelegenem Bergtal hier noch heute schlichtweg ein Arbeitsgerät für Bergbauern. Schwere Lasten – Heu und Holz – werden auf den mächtigen Schlitten mit den zwei Haltehörnern transportiert. Von diesen Hörnern an den Arbeitsschlitten haben auch die daraus entstandenen riesigen Rennschlitten ihren Namen. Im Ostrachtal heißen die Ungetüme nicht Hörner- sondern Hornerschlitten, erläutert Herbert Martin. Er ist mit seinen 46 Jahren noch immer ein topfitter und aktiver Rennteilnehmer – und er nutzt auf seiner kleinen Alpe, zu der es keinen Zufahrtsweg gibt, noch immer den Schlitten als Arbeitsgerät.

Aber ab und zu, sei es beim Training oder bei einem der Rennen, da steht Herbert Martin nicht vorn auf dem großen, zwei Meter langen und 90 Zentimeter breiten Arbeitsschlitten. Dann sitzt er vielmehr auf der eigens gefertigten Rennausführung des Schlittens, einem mit scharf geschliffenen Kufen. Auf seinen Schuhen ist eine Metallplatte angebracht, damit ja nichts die rasante Fahrt ins Tal bremst. Nach dem Startsignal schießt er mit seinem zweiten Mann hinten auf dem Gefährt ins Tal. Es geht um Zehntelsekunden, wie bei einem Skirennen.

Die Abfahrten sind nicht ungefährlich. Herbert Martin aber schwärmt noch heute von einem Rennen in Wertach. „Junge Burschen waren wir, vor nichts hatten wir Angst. Da sind wir die Strecke runter wie die Wilden, lagen sehr gut in der Zeit. Mit einem Mal tat’s einen Schlag und wir fuhren auf eine Schneemauer. Der Aufprall war so stark, dass wir durch die Luft gewirbelt wurden. Irgendwie kamen wir aber wieder auf unserem Horner zum Sitzen, und weiter ging’s. Es hat tatsächlich noch aufs Treppchen gereicht!“

Mit 16 Jahren darf man offiziell an Hörnerschlittenrennen teilnehmen. Die 16 liegt bei den meisten schon einige Zeit zurück, die Jahre sind mehr geworden, aber auch die Pokale daheim. „Wir haben auch fünf, sechs aktive Frauen unter den etwa dreißig aktiven Fahrern“, berichtet Bettina Golsner. „Ganz wilde Vögel“ seien die, ergänzt Leonhard Blanz, selbst aktiver Rennfahrer.

Leonhard Blanz ist Bauer und hat Muskeln wie ein Bär. „Sport treibe ich fast keinen, außer Skifahren, aber das macht ja jeder hier bei uns.“ Herbert Martin, ebenfalls Bergbauer, treibt konsequent wegen seines Rückens Gymnastik, nach der Arbeit. Und Cornelia Blanz empfiehlt allen Ernstes das Fitnessstudio.

Voraussichtlich achtzig Herren- und zehn Damenteams werden an diesem Samstag beim mehrfach verschobenen „6. Internationalen Ostrachtaler Hornerrennen“ an den Start gehen. In rund 90 Sekunden werden die Besten die 1,2 Kilometer lange Rennstrecke hinuntergebraust sein. Für die Zuschauer gibt es neben den regulären Rennen auch noch eine Reihe von Einlagen – zum Beispiel Fahrten mit echten Lastschlitten in Originaltracht.

Am meisten Gejaule aber wird es wieder geben, wenn es die rasenden Mannsbilder und Frauenzimmer nach einer kleinen Schanze aus der nächsten Kurve fegt. In diesen Momenten, sagt Cornelia Blanz, macht sich dann das Muskelaufbautraining im Fitnessstudio so richtig bezahlt.

KLAUS WITTMANN

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