Parodie der Machogesellschaft

Mimosensträußchen für die Freundin, phallusförmiges Gebäck im Restaurant, aufziehbare Plastikpenisse, Zoten und massenhaft Frauen unterwegs: In Italien wird der Internationale Frauentag zünftig und ausgelassen gefeiert

von MATTHIAS ZUCCHI

Am 8. März 1911 kamen beim Brand einer New Yorker Textilfabrik 130 Frauen qualvoll zu Tode. Um die weiblichen Billigarbeitskräfte besser kontrollieren zu können, hatte Fabrikdirektor Johnson, wie viele seiner Kollegen, die Frauen ohne Fluchtmöglickeiten in der Werkshalle eingeschlossen. Die Tragödie brachte das Problem der Frauenunterdrückung weltweit in die Schlagzeilen und ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Auf Initiative verschiedener Frauenrechtlerinnen, unter ihnen Rosa Luxemburg, wurde der 8. März zum International Women’s Day proklamiert. Während der Internationale Frauentag in Deutschland Jahr für Jahr weitgehend sang- und klanglos verstreicht, ist er in Italien als „festa delle donne“ (Fest der Frauen) fester Bestandteil des kulturellen Kalenders geworden.

Venedig am 8. März. In den Schaufenstern der Blumenläden verkünden große Leuchtbuchstaben das Frauenfest. Ein süßer Duft liegt über den Kanälen der Lagunenstadt: Auf allen Plätzen werden Mimosensträuße in verschiedenen Größen und Preisklassen ab 2 Euro feilgeboten, für rund 25 Euro sind ganze Mimosenbäumchen im Topf erhältlich. Jeder verheiratete Italiener, der es sich nicht mit seiner Gemahlin verscherzen möchte, tut heute gut daran, wenigstens ein kleines Sträußchen mit nach Hause zu bringen. Alle zwischen Bozen und Bari lebenden Junggesellen, die sich am Valentinstag kein Herz fassen konnten, haben heute eine zweite Chance, der Angebeteten verblümt ihre Liebe zu gestehen.

Am frühen Abend bietet die Markusstadt ein ungewohntes Bild: Die Gassen und Brücken sind fest in weiblicher Hand, allerorts sammeln sich vergnügte, ausgelassene Frauen von 18 bis 80 Jahren, um gemeinsam ihr Fest zu begehen. Nur unwissende Ausländer wie ich wagen sich nach Anbruch der Dunkelheit leichtsinnig auf die Straße.

Obwohl Venedig vor Pizzerien, Trattorien und Ristoranti überquillt, gestaltet sich meine Suche nach einem freien Tisch schwierig – die meisten Lokale sind restlos ausgebucht. Erst in der vierten Osteria weist mir ein Kellner mitleidig ein kleines Eckplätzchen zu. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht mich, dessen Ursache mir schlagartig bewusst wird: Ich bin der einzige männliche Gast. Rundherum nur weibliche Gesichter. Nach einigen Minuten betritt eine 20-köpfige Frauengruppe lautstark das Lokal. Die Damen, vermutlich Arbeitskolleginnen, mustern mich eingehend, während sie am reservierten Nebentisch Platz nehmen. Auf ihrer festlich geschmückten Tafel bemerke ich einen großen Brotkorb mit eigenartigen länglichen Gebäckstücken, wie ich sie nie zuvor gesehen habe – wie sich bei genauer Betrachtung herausstellt, sind es phallusförmige Brötchen, die nun von Hand zu Hand wandern und die Frauen in Hochstimmung versetzen.

Im Verlauf der nächsten Stunde wird ausladend getafelt, viel gelacht und reichlich Wein getrunken; es bleibt kein Auge trocken. Zum Nachtisch veranstalten die nicht mehr ganz nüchternen Signoras eine stark erotisch angehauchte Tombola; unter anhaltendem Gekicher werden verlost: ein großformatiges Kamasutra, ein Vibrator, kleine Glasfiguren, die sich in verschiedenen Stellungen begatten, Präservative mit Fruchtgeschmack, eine Großpackung Viagra (!?), diverse phallische Schlüsselanhänger und Ähnliches mehr. Bald hüpfen aufziehbare Plastikpenisse wie toll zwischen den Gläsern der heiteren Tischgemeinschaft umher.

Verstohlen von meiner Pasta aufblickend, erhasche ich manches Augenzwinkern und ein derbes Kompliment: „Na, Junge, lass uns doch mal dein schönes Ärschchen sehen!“ Auch der schüchterne junge Kellner mit der dicken Brille, der sich um den Prosecco-Nachschub sorgt, wird mit zotigen Sprüchen bedacht. Als ihm eine beleibte Endvierzigerin unter dem rasenden Beifall ihrer Tischgenossinnen beherzt aufs Hinterteil schlägt, kommt es zum Affront – der unbedachte Protest des Jünglings provoziert ein wütendes Pfeifkonzert. Die Wogen glätten sich erst wieder, als der Chef persönlich herbeieilt, seinen allzu sensiblen Angestellten mit harschen Worten in einen anderen Saal abbeordert und den aufgebrachten Damen eine Runde Grappa spendiert. Ich schleiche mich unauffällig zur Kasse und zahle.