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In der Reihe „Der wilde Osten“: Erstaufführung des tschechischen Films “Wilde Bienen“ im Metropolis“Wir haben den Kapitalismus, und es wird geschuftet!“

Ausnahmsweise muss hier der Schluss eines Films erzählt werden. Es ist nämlich so: In Bohdan Slámas Wilde Bienen ist am Ende alles genau so, wie es am Anfang war. Außer, dass einer fehlt, Kaja heißt er. Aber der hat nie viel gesagt, es wird ihn also keiner vermissen. Auch sein Vater nicht. Der suchte bei seinem Sohn sowieso immer vergeblich nach einer geistigen Regung. Damit meint er diese Regungen, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings noch tiefer in Misskredit geraten sind, als sie es vorher schon waren.

Fest steht: Die Erzählstruktur von Wilde Bienen ist ungewöhnlich. Denn so gewohnt wie langweilig wäre etwas anderes: Wenn in einem Film konventioneller Machart eine kleine Dorfgemeinschaft gezeigt wird und dann ein Auto ankommt mit zwei Städtern, von denen einer der verlorene Sohn des geistig am meisten bewegten Bewohners des Ortes ist, dann weiß man schon an diesem frühen Punkt der Dramaturgie, dass alle fraglichen Personen eine Entwicklung machen werden und am Ende nichts mehr ist wie es vorher war.

Die Konstellation in Kürze: Kaja ist in Bozka verknallt. Die arbeitet in einem Kiosk auf dem Dorfplatz und hat längst einen Typen, den Dandy des Dorfes und Michael-Jackson-Imitator Lada. Die Darsteller der beiden übrigens, Tatiana Vilhelmová und Pavel Liska, haben schon zusammen in Die Rückkehr der Idioten gespielt, wie Wilde Bienen einer der wenigen tschechischen Filme, die es in die hiesigen Kinos geschafft haben.

Boskas Freundin Jana arbeitet auch im Kiosk, falls ihr Baby sie nicht zu sehr in Anspruch nimmt oder ihr spielsüchtiger Mann. Das Baby ist vielleicht nicht von ihm, sondern von Kajas Bruder Petr. Anders wird alles für eine Weile, als Letzterer mit einem Freund aus der Stadt im blauen Tatra angereist kommt. Folgen wird das keine haben. Höchstens neun Monate später, aber das zeigt der Film nicht mehr.

Was er zeigt, sind die Bewohner des Dorfes, die ständig mit der Beschaffung von Pfefferminzschnaps beschäftigten Waldarbeiterinnen, deren Chef Ludwig (“Wir haben den Kapitalismus, und es wird geschuftet!“), die – wie eigentlich alle Frauen des Ortes – resolute Großmutter von Kaja und Petr und viele andere, die sich allesamt so unkonventionell verhalten wie die Dramaturgie des Films. Und genau deshalb, weil man nie weiß, was als nächstes passiert, erscheinen die Figuren nie holzschnittartig.

Den Höhepunkt stellt eine Party der örtlichen Feuerwehr dar. Es gibt einen Film mit dem Titel Feuerwehrball von Milos Forman aus dem Jahr 1967, in dem er ein ganz ähnliches Bild der Provinz gezeichnet hat, voller Witz und mit viel Empathie. Es war Formans letzter in der ČSSR gedrehte Film. Doch nicht nur damit erweist Sláma dem untergegangenen tschechischen Kino der Nouvelle vague Referenz. Wie die Helden der Filme, die seinerzeit den Prager Frühling eingeläutet haben, drückt Kaja nämlich seinen Protest lediglich durch stumme Blicke aus. Nur dass mehr als 30 Jahre nach dem Prager Frühling der schweigsame Widerstand auch noch die nostalgische Bezugnahme des Vaters auf diese Vergangenheit einbezieht.

Wilde Bienen spielen keine Rolle in Bohdan Slámas Film. Einzig auf der – auch ansonsten wunderbar pointiert benutzten – Tonspur hören wir einmal ihr bedrohliches Summen. Sie sind das große Geheimnis des Films. Der nahe liegenden Deutung, der Titel bezöge sich auf die Wildheit, die Natürlichkeit der Landbewohner, leistet der Film jedenfalls keinen Vorschub. Denn die Dramen, die sich hier abspielen, kann man sich ebenso in irgendeiner Metropole dieser Welt vorstellen.

Christiane Müller-Lobeck

24., 26. + 28.1., 21.15 Uhr, 25. + 31.1. + 1.2., 19 Uhr, 27. + 29.1., 17 Uhr, 30.1., 21.30 Uhr, Metropolis

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