: Arschtreter aller Länder, vereinigt euch!
Die Schuh-als-Lifestyle-Marke Nike ist traditionell ein Lieblingsfeind von Markenkritikern. Jetzt fordert die kanadische Anti-Marken-Organisation Adbusters Nike-Chef Phil Knight heraus. Sie will selbst einen Turnschuh auf den Markt bringen – das weltweit erste „Anti-Branding“-Produkt
VON ANNETTE JENSEN
Er sieht aus wie ein Turnschuh aus den 60er-Jahren: schwarzweiß mit platter Sohle – ohne Luftpolster-Schnickschnack und wilde Streifenmuster. Einzige Besonderheit: vorne ein roter, runder Fleck. Die schlichte Fußbekleidung soll nur einem Zweck dienen: dem Nike-Firmenchef Phil Knight kräftig in den Arsch zu treten. Folgerichtig nennt sich das Modell „Unswoosher“ – das Gegenbild zu dem als „Swoosh“ bezeichneten Nike-Häkchen, das weltweit einen großen Teil der Sportklamotten ziert.
Kreiert hat das Modell Kalle Lasn – Leiter der in Vancouver angesiedelten Organisation Adbusters. Der 60-jährige gebürtige Este führt seit Jahren mit „Unzeigen“ und „Werbe-Spotts“ einen Kampf gegen geistige Umweltverschmutzung durch Markenwerbung.
Lasn und seine Kollegen versuchen die großen Konzerne mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen: Gerade weil die mit Millionenaufwand eingeführten Logos und Werbeclips der großen Firmen jedem Zuschauer bekannt sind, können sie mit kleinen Veränderungen eine Gegenbotschaft übermitteln und das Original ins Lächerliche ziehen. „Das funktioniert wie beim Judo“, erklärt Lasn. Der Schwung des Gegners wird aufgenommen und zum eigenen Vorteil umgesetzt, während der Angreifer auf der Matte landet.
So sah sich Camel vor ein paar Jahren mit einem todkranken Kamel auf einer Krebsstation konfrontiert, während die Macher von „Absolut Vodka“ das Bild einer schrumpeligen Flasche verkraften mussten, unter der „Absolut Impotence“ stand. Ein anderes Plakat zeigte den mit Kreide gezeichneten Flaschenumriss auf einer Straße mit dem Hinweis „Absolut End“ und dazu die Statistik, dass in Nordamerika 50 Prozent der Unfälle in Zusammenhang mit Alkohol passieren. Zunächst drohte der Schnapskonzern mit einer Klage, doch als die Manager merkten, dass ein Prozess Kalle Lasn ein weiteres öffentliches Forum geboten hätte, sahen sie lieber davon ab.
Mit der Herstellung eines eigenen Produkts will Adbusters nun noch einen Schritt weiter gehen. Der Sportartikelhersteller Nike ist traditionell einer der Lieblingsfeinde der Markenkritiker. „Auch wir boykottieren den Konzern schon seit Jahren“, betont Kalle Lasn.
Im Zentrum der Kritik steht dabei, dass Nike insbesondere Jugendliche mit Milliardenaufwand darauf trimmt, die Klamotten mit dem Swoosh als erstrebenswerten Lifestyle zu empfinden – in der Werbesprache „Branding“ genannt. Was in den Industrieländern zu horrenden Preisen verkauft wird, stammt fast ausschließlich aus Sweatshops in Asien und Lateinamerika, wo die Turnschuhe, Hemden und Mützen zu Hungerlöhnen und häufig unter katastrophalen Arbeitsbedingungen produziert werden.
Vor einiger Zeit entwickelte Adbusters bereits eine Zange, mit der sich das Nike-Logo von den Turnschuhen entfernen lässt. Nun sammeln die Medienrebellen Geld, um zunächst in der New York Times eine ganzseitige Anzeige zu schalten. Sie zeigt einen mit schwarzer Kreide gekrakelten „Swoosh“, unter dem steht: „Rethink the cool“. Kalle Lasn freut sich schon jetzt auf ihre Wirkung: „Zwei Millionen Augen können dann Philly dabei beobachten, wie er in seinen Schühchen wackelt.“ Darüber hinaus haben Unterstützer im Internet die Möglichkeit, eine Vorbestellung für die schwarzweißen Turnschuhe aufzugeben oder am besten gleich eine Vertriebsstelle für die „Unswoosher“ zu gründen.
Wer sich die „etwa 40 Dollar“ für ein Paar nicht leisten kann oder will, aber trotzdem an der „Arschtrittaktion gegen Phil Knight“ teilnehmen möchte, malt sich einfach einen roten Punkt vorne auf den Schuh. Schließlich geht es nicht darum, möglichst viel Geld mit dem Verkauf von Schuhen zu verdienen, sondern das „weltweit erste Graswurzel-Anti-Branding“ zu inszenieren. „Wir wollen ein Beispiel geben, dass kleine Gruppen multinationale Konzerne erfolgreich angreifen können“, erklärt Kalle Lasn.
Das Gelingen der Aktion nimmt Adbusters auf der Internetseite bereits vorweg: Eine Grafik im Stil von seriösen Börsenmagazinen zeigt die rasant fallenden Umsatzzahlen von Nike, aber auch Adidas und Reebok, während sich der Plattfußturnschuh aus dem Hause Adbusters innerhalb von kurzer Zeit zum Renner entwickelt.
Zuvor muss der „Unswoosher“ allerdings erst in Produktion gehen. Und das erweist sich jedoch als gar nicht so einfach. „Noch haben wir Schwierigkeiten, eine Produktionsfirma zu finden“, sagt Kalle Lasn. Sowohl in Südkorea als auch Indonesien und China sind Adbusters-Mitarbeiter vorstellig geworden. Zwar wollten mehrere Chefs den Auftrag gerne übernehmen – doch als sie von der Bedingung hörten, dass in dem Betrieb Versammlungs- und Gewerkschaftsfreiheit herrschen und auch die übrigen Arbeitsbedingungen bestimmten Standards entsprechen müssten, nahmen sie lieber Abstand. Im Moment suchen Kalle Lasn und seine Kollegen in Europa und den USA nach einer Herstellerfirma. Lasn gibt sich optimistisch: „In ein paar Wochen wird alles unter Dach und Fach sein. Im Frühjahr werden die ersten Schuhe produziert.“
Den TV-Spot zum „Unswoosh“ gibt es schon.Und rund um die Nike-Konzernzentrale in Beaverton im US-Bundesstaat Oregon sollen Plakate mit dem „Unswoosher“ aufgehängt werden, um Phil Knight auf seinem Weg zur Arbeit zu nerven. Kalle Lasn kennt alle Elemente einer professionellen Medienkampagne, schließlich hat er früher selbst jahrelang viel Geld mit Werbung für Produkte verdient. Doch auch andere Kreative aus großen Marketingfirmen unterstützen Adbusters mit Ideen. Berichten zufolge sollen die Büros in Vancouver inzwischen ein beliebter Ferienaufenthaltsort auch für europäische Werbefachleute sein, die ihre Kreativität nicht nur für die Umsatzsteigerung von Slipeinlagen, Margarine oder Billigkaffee mit Verwöhnaroma einsetzen wollen – und auf diese Weise vielleicht auch ein bisschen ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Das Magazin „Adbusters“, das alles andere als moralinsauer ist, erreicht inzwischen eine Auflage von 120.000, hat bereits zahlreiche Preise gewonnen und soll gerade bei Werbemachern eine sehr beliebte Lektüre sein.
Sicher wird es auch bei der neusten Aktion wieder Klagen geben – wenn nicht von Nike, so vielleicht von Adbusters selbst. Denn die Organisation hat traditionell Schwierigkeiten, ihre „Antiwerbung“ im Fernsehen und auch in vielen Zeitungen unterzubringen. Doch das empfindet Kalle Lasn keineswegs als Nachteil. Auch hier lässt sich das Judoprinzip anwenden: Ein Prozess gegen einen TV-Sender erregt schließlich Aufmerksamkeit bei anderen Medien. Die Spots werden umso interessanter und bekannter und ziehen neue Mitstreiter an. Schließlich hat Adbusters ja ein keineswegs bescheidenes Ziel: die kapitalistischen Konsumspirale zum Entgleisen zu bringen.
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