Der Streik kurbelt die Kleinwirtschaft an

Wer trotz Streik sein Auto anmelden will, braucht Sitzfleisch. Erst nach drei bis fünf Stunden kommt man an die Reihe. Das freut die Betreiber der kleinen Buden rund um die Kfz-Zulassungsstelle. Die übernehmen das Warten für 30 Euro

„Hier ist zu“, begrüßt der Mann mit der schwarzen Jacke die Neuankömmlinge. Am Tor der Kfz-Zulassungsstelle hängt ein unscheinbarer Zettel. „Wegen zu großem Andrang geschlossen“ steht da drauf. Das ist nur die halbe Wahrheit. Der Andrang ist nicht höher als an normalen Tagen. Doch das Personal fehlt. Die Angestellten des Landes streiken für mehr Lohn. In der Kfz-Zulassungsstelle Friedrichshain-Kreuzberg verrichten nur ein paar Beamte den Dienst – und kommen nicht hinterher.

Zwar wird die Behörde um 7.30 Uhr geöffnet, doch die Zahl der Wartenummern ist beschränkt. „Spätestens nach zwei Stunden wird niemand mehr reingelassen“, erklärt ein Wachmann. Wer danach kommt, kann gleich wieder gehen – oder sein Anliegen in die Hände des Mannes mit der schwarzen Jacke oder einer seiner Konkurrenten legen. Sie arbeiten für die kleinen Läden auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Amtes. Diese erstellen nicht nur Autokennzeichen, sondern bieten auch den Service zur An-, Ab- oder Ummeldung eines Fahrzeugs. Gegen Aufpreis natürlich. Normalerweise wird dieser Service meist nur von Autohäusern beansprucht, doch in diesen Tagen greifen auch Normalkunden zu.

Die Mitarbeiter fangen die Leute vor der Zulassungsstelle ab. Mit dem freundlichen Hinweis, dass das Amt geschlossen sei, man schon sehr früh da sein und mehrere Stunden warten müsse, überzeugen sie die Menschen schnell. Dann empfehlen sie den ratlosen Gesichtern einen wenige Meter entfernten Laden, der dies schnell und kostengünstig für sie übernehmen könne. Rund 30 Euro pro Auto. Weil vielen nicht anderes übrig bleibt, nehmen sie das Angebot an.

Der Mann mit der schwarzen Jacke möchte seinen Namen nicht nennen, aber wie das Geschäft funktioniert, erklärt er gern: Drei Mitarbeiterinnen des Ladens ziehen jeden Morgen bis zu drei Wartenummern. Pro Nummer dürfen zwei Anliegen bearbeitet werden. Das bedeutet statt der üblichen zwei bis drei zirka 18 Anmeldungen pro Tag. Für die kleinen Läden ist dies viel Stress – und ein gutes Geschäft.

Denn selbst wer rechtzeitig kommt, um eine Nummer zu ziehen, braucht viel Geduld. Die Wartezeit beträgt zwischen drei und fünf Stunden. Die meisten Leute sitzen ruhig da und warten. Viele haben Verständnis für den Streik: „Ich bekomme auch nur wenig Geld und kann gut verstehen, dass die Angestellten nicht lockerlassen“, erzählt eine junge Frau. Die Stimmung ist trotzdem gereizt. „Dieser Streik ist unmöglich!“, beschwert sich ein Mann. „Ich bekomme auch wenig Geld, aber wenn ich heute nicht zur Arbeit gehen würde, wäre morgen jemand anders da.“ Er wartet schon seit halb neun und hat seinen Chef gebeten, heute erst später zur Arbeit kommen zu dürfen.

Der Wachmann beschreibt die Lage als weitgehend ruhig. Er ist es gewohnt, dass die Leute ihre Wut an ihm auslassen: „Natürlich sind die genervt, wenn sie zum dritten Mal hier sind und immer noch keine Wartemarke bekommen.“ Er rät, früh genug da zu sein: „Um fünf oder sechs Uhr früh. Dann kommen sie sicher dran.“ JANINE LAMANN