Nichte am Spieß

Am Versuch, die sophokleische Tragödie „Antigone“ zu dekonstruieren und als zeitloses Sing-Sprech-Tanzstück neu zu erzählen, scheitert das New Yorker „Big Dance Theater“ auf Kampnagel

von Katrin Jäger

Antigone (Didi O‘Connell) kräht „I‘m a spider“, während sie sich auf dem Boden windet. Der Erzähler (Leroy Logan), weißbärtig wie der liebe Gott, sitzt behäbig an seinem mit Krempel überladenen Tisch, fuchtelt mit zwei Colts in der Luft herum und preist dabei zwei Pizzen zum Preis von einer an. Einen Sinn in diese zusammengewürfelten Szenen der Europapremiere des Sing-Sprech-Tanzstücks Antigone: Songstress On The Edge Of Heaven hineinzuinterpretieren, bleibt dem Kampnagelpublikum überlassen.

In ebenso postmoderner wie belangloser Beliebigkeit schleppen die drei Schicksalsgöttinnen (Molly Hickok, Cynthia Hopkins, Nancy Ellis) die gefangene Antigone an der zum Spieß umfunktionierten Mikrofonangel über die Bühne. Denn Antigone will unbedingt den Leichnam ihres Bruders Polyneikes bestatten, doch das hat ihr Onkel Kreon, der Herscher von Theben, bei Todesstrafe verboten. Das Ensemble des New Yorker „Big Dance Theater“ will Sophokles‘ antike Tragödie als „zeitloses Märchen“ erzählen, verspricht, die Story durch den „psychologischen Mixer“ zu jagen. Nichts Gutes kommt da heraus.

Denn der neue Text von Mac Wellman reiht pseudophilosophische Versatzstücke aneinander, bedient sich dabei unter anderem des lacanschen Spiegelstadiums, indem er seine Antigone feststellen lässt: „Ich werde ich, weil ich die anderen sehe.“ Die Darstellerinnen nehmen diesen Satz jedoch nicht zum Anlass, daran beispielsweise Antigones Konflikt zu entwickeln. Wie so oft in diesem Stück würgt der Gewitterdonner den roten Faden ab, die Moiren tanzen mal wieder eine Runde.

Vier immer gleiche, asiatisch eingefärbte, folkloristische Figuren: Körperdrehung, Handdrehung, Sprung, Arme nach oben recken. Die Rücken steif, ohne Bühnenpräsenz, so, als hätte ihre Berufsgenossenschaft den Göttinnen verboten, über die Stränge zu schlagen. Dazu der Erzähler-Kommentar: „Sie tanzten den Tanz dessen, was jenseits der Sprache liegt. Ein Tanz des Nichts.“ Ungewollt komisch kommt das daher, denn der Spruch verspricht Außergewöhnliches, der Tanz hingegen entspricht der Choreographie einer Volkshochschulgruppe.

Einzig der Funke der Begeisterung, mit der die Company das Stück auf postmodern getrimmt haben will, springt über das Publikum hinweg. Jede der vier Szenen wirkt wie angefangen und im Regen stehen gelassen, die Darstellerinnen scheinen sich nicht wirklich einzulassen. Auch dann nicht, als Antigone letzten Endes wie Phönix aus der Asche, in goldenes Licht getaucht und von esoterischen Minimalklängen begleitet, ihr letztes Plädoyer spricht: „Ich fühle die Kraftlinien, so, als wäre ich göttlich und nicht ein garstiges Mädchen.“ Will wohl sagen, das Jenseits rehabilitiert die Geschundene, auch wenn Onkel Kreon ihr Ansinnen, dem Bruder die letzte Ehre zu erweisen, in seiner Beschränktheit verurteilt hat.

Dies scheint den Erzähler allerdings nicht zu interessieren, denn der versucht inzwischen zum wiederholten Mal, das Stück auf die Metaebene zu hieven. Sophokles, so behauptet er, sei eine Puppe. Den Stoff seiner Tragödie – oder eher Soap Opera, wie diese Inszenierung nahelegt – haben die Schicksalsgöttinnen und andere mythischen Mächte schon in grauer Vorzeit gesponnen. Und nun, da keine Puppe auf seinem Wühltisch zur Hand, sei eben des Erzählers Hand der Dichter. Ein gefühlskalter Intellektuellenwitz, niemand lacht, man fühlt sich als Zuschauer nur aufgehalten und wünscht sich, dieses Stück sei ein Hörspiel gewesen.

Denn die Songs von Cynthia Hopkins sind sehr schön in ihrer schlichten Klarheit. Selbst die Micky Maus-Stimmen der albernen Schicksalsgöttinnen wären vielleicht in der Hörversion erträglich gewesen. Zumindest wären einem die gelben Pantoffeln erspart geblieben. In die schlüpfen die Moiren immer dann, wenn sie den obligatorischen Chor der griechschen Tragödie markieren – kleinschrittig, unsinnlich, überflüssig.

weitere Termine: heute–Sonntag, 29.–31.1., 20 Uhr, Kampnagel