„Field war ein US-Patriot, der an die KPdSU glaubte“, sagt Werner Schweizer

Vor hundert Jahren wurde Noel Field geboren – Bürger, Pazifist, Opfer des Stalinismus und kommunistischer Doktrinär

taz: Herr Schweizer, Sie haben sich Jahre Ihres Lebens mit Noel Field beschäftigt. Warum?

Werner Schweizer: Für mich war er zuerst ein Held und ein unschuldiges Opfer des Stalinismus. Als Linker war ich mit der Gedankenwelt vertraut, in der sich viele seiner Freunde in der Schweiz der Dreißiger- und Vierzigerjahre bewegt hatten. Als ich tiefer in das historische Material eindrang, wurde es unmöglich, an diesem Bild festzuhalten. Field zeigte sich als Kind amerikanischer Großbourgeoisie, erzogen im Geist des Quäkertums, ein radikaler Pazifist, der sich dennoch mit der kommunistischen Strategie der Machteroberung und der damit verbundenen Gewalt identifizierte. Er war amerikanischer Patriot, folgte aber den Richtlinien der KPdSU. Eine widersprüchliche Figur.

Viele Intellektuelle faszinierte damals der Marxismus-Leninismus. Field auch?

Nein, er war kein Theoretiker. Ihn brachte sein humanitäres Engagement für die Opfer zum Kommunismus – die Kommunisten waren die ersten Opfer des Faschismus. Dann die Ansicht, dass im Kampf gegen den Faschismus nur auf die Sowjetunion Verlass war. Diese Haltung konnten auch die Moskauer Schauprozesse 1937/38 nicht erschüttern. Field saß sogar bei einer dieser Prozesse im Zuschauerraum. Er wollte glauben – und er glaubte.

Die KP hat ihn trotzdem nicht akzeptiert?

Nein. Er wollte Parteimitglied werden, aber die Disziplin, Verschlossenheit und strikte Linientreue eines kommunistischen Funktionärs blieben für ihn unerreichbar. Er wollte mehr sein als ein Bündnispartner, aber die Kommunisten beschränkten ihn auf diese Rolle. Bis er dazu ausersehen wurde, in den Schauprozessen der Nachkriegszeit seine Rolle als Agent des US-Geheimdienstes zu spielen.

Hatte er denn etwas von einem Spion?

Nein. Field war das Gegenteil eines professionellen Spions. Ständig trug er Aufzeichnungen und Adressbücher mit sich herum. Ein amerikanischer Freund erklärte später, wer zwei Sätze mit redete, wusste, wo er stand. Field hat auch kein doppeltes Spiel getrieben. Die Informationen, die er Allan Dulles, dem US-Geheimdienstchef, Anfang der 40er in der Schweiz übermittelte, waren allgemeiner Natur und hatten die Stärkung der Anti-Hitler-Koalition zum Ziel.

Rätselhaft ist nach wie vor: Warum hat er während der Verhöre nicht mit dem Stalinismus gebrochen? Warum ist er nach seiner Freilassung 1954 in Budapest Kommunist geblieben?

Es gab wohl eine Schlüsselsituation: Er war in Haft und man hatte in seine Zelle einen Spitzel geschleust. Field war schwer gefoltert worden und er bat diesen Spitzel, zur US-Botschaft zu gehen, wobei er auch seine früheren Kontakte zu Dulles ins Spiel brachte. Als die Vernehmer ihn damit konfrontierten, muss das für ihn eine existenzielle Entscheidungssituation gewesen sein. Entweder, wenn auch als Angeklagter, mit den Kommunisten – oder auf Seiten der USA. Die Entscheidung für die Sowjets hat sein restliches Leben geprägt. Die Rolle des KGB war bei den verschiedenen Prozessen sehr unterschiedlich. Field war zum Beispiel erleichtert, als KGB-Emissäre in das Aussage-Chaos, das die ungarischen Vernehmer während der ersten terroristischen Phase angerichtet hatten, etwas System zu bringen versuchten. Als er wieder den Ungarn überstellt wurde, war er todunglücklich.

Warum stand er 1956 nicht auf der Seite der ungarischen Revolutionäre, die für eine demokratisch-sozialistische Räterepublik eintraten?

Field hat sich, nachdem er aus dem Gefängnis kam, eingemauert. Er verkehrte vor allem mit Genossen, die selbst unschuldige Opfer der Schauprozesse gewesen waren und nach ihrer Freilassung an der Parteilinie festhielten. Zu seinen Freunden zählte János Kádár, zuerst im Gefängnis, dann, nach der sowjetischen Besetzung Ungarns, der Mann der Sowjets. Später empfing er auch Besuch von Schweizer Genossen wie Konrad Farner, den er ermahnte, in seiner Zeitschrift keine Abweichler und Revisionisten zu Wort kommen zu lassen. Erst 1968, nachdem der „Prager Frühling“ durch die sowjetische Invasion abgewürgt worden war, stellte er seine Mitgliedszahlungen für die ungarische KP ein. Das war das Äußerste. Er konnte sich selbst nicht außerhalb der KP denken.

Ist sein Leben typisch für eine Generation westlicher Intellektueller?

Er war ein typischer großbürgerlicher amerikanischer Linker der Dreißigerjahre, aber gleichzeitig ist er ganz einmalig mit all seinen Schwächen und Widersprüchen. Ich hänge an dieser Biografie. Noch immer, obwohl ich mich schon so lange damit befasse.

INTERVIEW: CHRISTIAN SEMLER