Eigentlich unverständlich

Das BKA soll nach Berlin umziehen. Das ist teuer und sinnlos – wenn die Behörde nicht doch mehr Kompetenzen bekommen soll, als der Bundesinnenminister bisher zugibt

Zu Gunsten des Umzugs könnte die notwendige Investition ins Funknetz also weiterverschleppt werden

Deutsche Beamte, insbesondere Polizisten, sind nicht gerade für besondere Aufmüpfigkeit bekannt. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis dürfte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) denn auch kaum mit größeren Schwierigkeiten gerechnet haben, als er Anfang Januar den Umzug des Bundeskriminalamtes (BKA) nach Berlin ankündigte. Ab 2006, so Schilys Pläne, solle die Amtsspitze in die Hauptstadt verlegt werden. Zwei Jahre später sollten dann etwa 2.000 Beamte und Beamtinnen folgen und die 500 BKAler verstärken, die bereits seit 1999 ihren Sitz in einer alten Kaserne im Stadtteil Treptow haben. In Wiesbaden, wo das BKA seit seiner Gründung im Jahre 1951 seinen Sitz hat, sollen dann nur Servicefunktionen wie die Kriminaltechnik oder die Aus- und Fortbildung verbleiben. Was so unspektakulär schien, schlug in der hessischen Landeshauptstadt und in der Staatsschutzabteilung in Meckenheim bei Bonn wie eine Bombe ein. Staunend wird man seither Zeuge eines Amoklaufs. Seit gut zwei Wochen proben die Kriminalisten den Aufstand gegen ihren forschen Polizeiminister, und das Dilemma könnte unterdessen kaum größer und die einzelnen „Frontverläufe“ kaum absurder sein.

Längst ist die fachliche Frage nach dem Sinn der geplanten Standortverlagerung in einem Gestrüpp von Einzelinteressen untergegangen: In den zurückliegenden 50 Jahren haben sich die Beamten des BKA längst rund um Wiesbaden eingerichtet und fürchten nun um ihr Häuschen im Grünen. Um sie zu retten, haben sie bereits ihren Präsidenten, Ulrich Kersten, demontiert. In turbulenten Personalversammlungen und Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern haben sie ihm das Vertrauen entzogen. Kersten wird nicht mehr zu halten sein, über seinen vorzeitigen Ruhestand wird öffentlich nachgedacht. Damit rächt sich nun, dass Deutschlands oberster Kriminalitätsbekämpfer kein Polizist mehr ist, sondern als politischer Beamter wie ein Staatssekretär jederzeit ohne Angabe von Gründen entlassen werden kann. Die hierdurch erzwungene Willfährigkeit gegenüber dem Minister war gewollt, nachdem sein querulatorischer Amtsvorgänger Hans-Ludwig Zachert 1996 das Rentenalter erreicht hatte. Zachert meldete sich denn auch inzwischen zu Wort und bezog vehement Stellung gegen den Umzug. „Die Nähe zur Macht“, so sein Credo, sei „nicht immer opportun“. Welch interessante Erkenntnis für einen Mann, der trotz aller Renitenz jahrelang einen solchen Zugang gesucht hat. Aufsässigkeit konnte sich Kersten im seinem Amt nicht leisten. So wird er nun Schilys erstes Opfer in der BKA-Krise, und weitere werden folgen. Im Ministerium, im Bundeskriminalamt und bei den Gewerkschaften.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Peer Steinbrück (SPD) und die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (CDU) fürchten medienwirksam um Arbeitsplätze, Steuern und Grundstückspreise und machen sich für die Kriminalisten stark.

Doch ein Zurück kann es ohne Schilys eigenen Rücktritt nicht mehr geben. Da Bundeskanzler Schröder ihn aber dringend braucht, ist damit nicht zu rechnen. Mehr als einige Veränderungen am Zeitplan sind somit weder für den Innenminister noch für die Polizeigewerkschaften ohne Gesichtsverlust drin.

Bei dem absehbaren Gezerre werden nachvollziehbare Gründe für die Notwendigkeit des geplanten BKA-Umzugs kaum noch eine Rolle spielen. Doch auch dieses Prozedere folgt durchaus einer gewissen Logik, denn tatsächlich gibt es hierfür kaum eine Begründung außer Schilys bekannter Großmannssucht, sich stets mit möglichst vielen seiner Verbrechensbekämpfer zu umgeben. Zunächst der Bundesnachrichtendienst, dann das Bundeskriminalamt – längst geht auch bei den Bundesverfassungsschützern in Köln die Sorge um, sie seien die Nächsten. Zweifellos ist es vernünftig, den Standort der Staatsschutzabteilung in Meckenheim zu schließen. Sie war in der Ära Adenauer 1951 zunächst als „Sicherungsgruppe Bonn“ in der Nähe der alten Bundeshauptstadt aufgestellt worden, da Personenschützer am Taunus erkennbar wenig Sinn machten. Seit 1999 sind die Personenschützer aber längst in Berlin angekommen, im lauschigen Meckenheim residiert nur noch die Abteilung Staatsschutz. Sie entweder nach Wiesbaden zurückzuverlegen oder aber auch in Berlin anzusiedeln, ist aus ökonomischen wie auch polizeifachlichen Gründen überfällig.

Ganz anders sieht es jedoch mit dem Wiesbadener Stammhaus aus. Im Zeitalter von elektronischer Kommunikation und Videokonferenzen sind die Spitzen der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung auch über größere Entfernungen jederzeit erreichbar. Dies gilt umso mehr, als das BKA lediglich als Koordinierungs- und Dokumentationsstelle für die deutsche Verbrechensbekämpfung konzipiert ist, die Hauptarbeit hingegen bei den 16 Landeskriminalämtern liegt. Die Abteilungen für organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität und Terrorismusbekämpfung von ihrer gerade erst mit Millionenaufwand modernisierten EDV-Infrastruktur zu trennen, nur um diese an anderer Stelle neu zu installieren, führt neben immensen Zusatzkosten lediglich dazu, diese Bereiche über einen größeren Zeitraum in ihrer Arbeit zu behindern.

Ein Zurück kann es ohne Schilys eigenen Rücktritt nicht mehr geben

Erst recht unverständlich werden Schilys Pläne, wenn man zugleich einen Blick auf ein anderes drängendes Projekt wirft: Bereits seit Jahren kommt der Aufbau eines modernen Funksystems für die deutsche Polizei nicht voran, da die Finanzminister das rund 8 Milliarden Euro teure Projekt für „momentan nicht finanzierbar“ halten. Wird das System Tetra25, das ursprünglich zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 einsatzbereit sein sollte, nicht installiert, droht Deutschland im Verbund mit ausländischen Sicherheitsbehörden blind und taub zu werden. Nicht ausgeschlossen wäre auch, dass Schily zu Gunsten des Umzugs weitere Kürzungen beim digitalen Funknetz vornehmen könnte. Dass Polizeifunktionäre angesichts der neuen Pläne ihres Ministers auf die Barrikaden gehen, ist also auch über die Sorge um das Eigenheim im Grünen hinaus nicht ganz unverständlich.

Ein Umzug des BKA nach Berlin ergäbe nur dann wirklich einen Sinn, wenn Schilys tatsächlichen Pläne über seine bisherigen Verlautbarungen hinausgehen und die Kompetenzen des Bundeskriminalamts ausgeweitet werden sollen. Solche Absichten, das BKA nach dem Vorbild der amerikanischen Bundeskriminalpolizei FBI umzubauen, werden derzeit jedoch sowohl vom Innenministerium wie auch von den Gewerkschaften dementiert. Doch Ähnliches konnte man schon einmal beim Bundesgrenzschutz beobachten, der von Schily zu einer uniformierten Bundespolizei ausgebaut wurde. Der uralte Traum der Christdemokraten, verwirklicht durch einen grünen Konvertiten. Ganz so abwegig ist der Gedanke also nicht. OTTO DIEDERICHS