straßburger urteil
: Entschädigung nicht zwingend

Deutschland wurde wegen Verletzung der Menschenrechte verurteilt. Das passiert beim Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg nur ausgesprochen selten. Aber nicht weil Deutschland eine weiße Weste hätte, sondern weil Grundrechtsverstöße in der Regel schon vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beanstandet werden und gar nicht bis Straßburg vordringen.

KOMMENTARVON CHRISTIAN RATH

Bei der entschädigungslosen Enteignung bestimmter Bodenreform-Erben sind die beiden Gerichte nun aber unterschiedlicher Auffassung. Karlsruhe hielt sie für gerechtfertigt, Straßburg nicht. Das zeigt zumindest, dass die Frage nicht ganz einfach zu beantworten war.

Bejubelt wird das gestrige Urteil vor allem von einem ungewöhnlichen Bündnis aus PDS und FAZ. Die Sozialisten kämpfen für die Erben der Bodenreform, weil sie die Landverteilung als positive Errungenschaft der DDR sehen. Dass die DDR damals das Eigentum an die landwirtschaftliche Nutzung der Fläche band, ist der PDS heute egal. Im Gegenteil, indem sie nun das Eigentum um des Eigentums willen verteidigt, zeigt sie, dass sie doch im Westen angekommen ist.Und hier trifft sie sich mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der zwar die Bodenreform nicht behagt, aber ein Urteil gegen entschädigungslose Enteignungen umso mehr.

Nun wird man bald feststellen, dass die Versuche, mit der Entscheidung aus Straßburg in der Hand alle 70.000 ähnlich gelagerten Fälle neu aufzurollen, juristisch scheitern werden. Dann stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber von sich aus nachträgliche Entschädigungen zahlen sollte. Aus Gerechtigkeitsgründen spräche manches dafür. Politisch zwingend ist es aber sicher nicht, Erben zu entschädigen, die gerade mal zwei Jahre effektiv das Eigentum über ein einst vom Staat unter Auflagen geschenktes Stück Land ausüben konnten. Kurz: Es gibt wirklich Wichtigeres.

Bisher wurden zum Beispiel nicht einmal alle Opfer der westdeutschen Berufsverbote aus den 70er-Jahren rehabilitiert, obwohl Straßburg vor einiger Zeit auch das rigide bundesrepublikanische Beamtenrecht als undemokratisch beanstandet hat. Nur wenigen gelang nach 20 Jahren noch der verspätete Einstieg in den Schul- oder Postdienst. Entschädigt wurde außer der erfolgreichen Klägerin niemand. Die Vernichtung von Existenzen und Lebenschancen wiegt weit schwerer als die Wegnahme eines geschenkten Stücks Land.