Lebe wohl

Lieder vom Aufbruch: „Les Adieux“ machen den Abschied von den Kammerspielen nicht gerade leichter

Einem Mann reicht das Leben mit Frau und Kind, ein anderer wäre nur „so gern nicht mehr Friseur“. Ein Dritter hat seine Hoffnung in Arbeiter, Bauern und ihre Gewehre verloren, und eine Frau in Schwarz hat Liebeskummer, während eine andere sich von der Country Road wünscht, sie möge sie nach Hause bringen. In Les Adieux wird klar: Abschiede können so traurig wie herbeigesehnt sein, Abschlüsse wie Aufbrüche. Immer aber sind sie mit Hoffnungen und Träumen verbunden. Den Abschied von den Kammerspielen machen diese in ihrer letzten Inszenierung damit nicht gerade leichter. Eher im Gegenteil.

Denn noch einmal zeigt Noch-Kammerspielintendant Ulrich Waller mit diesem Liederabend von Franz Wittenbrink, was sein Theater ausmacht. Es sind Schauspieler auf höchstem Niveau, die die Zuschauer abholen, mitnehmen und am Ende der Vorstellung gefühlsmäßig durchgelüftet wieder absetzen. Mit dem Eindruck, der Abend sei viel zu kurz gewesen – und mit der Sicherheit, dass Spaß auch Anspruch haben kann, dass Musik nicht Musical sein muss, und dass Krieg, Frieden und „Deutschland sucht den Superstar“ ganz dicht beieinander liegen.

Lex Adieux kommt ohne Zwischentexte aus, ein Lied reiht sich in wilder Mischung an das andere: alte Schlager mit neuen Texten, Jazz, Country, „Living like a Rolling Stone“, Rock, Pop, Barock und Samuel Beckett, Heinrich Heine und Robbie Williams: Aufbruch ist ihr innerer Zusammenhang. Der kleine Tod, der fast jedem Lied innewohnt. Sechs Reisende warten bewegungs- und wortlos, man weiß nicht, worauf. Auf einen Zug? Ein neues Leben? Immer mal wieder bremst die rasante Fahrt, und die Schauspieler stehen mit dem Rücken zum Publikum vor einer Glaswand, an der der Regen in Strömen hinunterläuft. „Lebe wohl, gute Reise, vergiss‘ mich bitte nicht.“

Am Ende tobt das Publikum, als sei dies schon der letzte Abschied von den Kammerspielen gewesen. Dabei gibt es noch viele: Noch bis zum 17. März und dann wieder im Juni, wenn es endgültig Ernst wird mit dem Verabschieden. Auf ein Wiedersehen im St. Pauli Theater.

SANDRA WILSDORF

weitere Vorstellungen: tägl. bis 17.3., 20 Uhr, Kammerspiele