Eierbecher in roten Pumps

Glasbläser gibt es nicht nur im Schwarzwald – auch in Bremen pusten Kunsthandwerker aus Glas die filigransten Dinge. Die Glasmanufaktur Irene Borgardt feiert zehn Jahre Dienst am Durchsichtigen. Eine Reportage von Dorothea Siegle (Text) und Indra Wegener (Fotos)

„An Ideen, was ich aus Glas machen möchte, hat‘s mir eigentlich nie gemangelt“

Der Tischbrenner speit eine Flamme aus, viele hundert Grad heiß. Irene Borgardt schiebt die Schutzbrille über ihre Augen, setzt sich auf ihren Arbeitshocker und hält das Ende einer bananen-dicken Glasröhre in das Feuer des Brenners. Noch sieht die gläserne Röhre nach Chemielabor aus – gerade, lang, normiert. Eine Stunde und viel Blaserei später ist aus der Röhre ein kleines, sanft geschwungenes Schnapsglas geworden. „Acht Jahre beherrscht das Glas dich. Dann beherrschst du das Glas“, sagt Irene Borgardt über ihre Arbeit. Seit zehn Jahren führt sie eine Glasbläserei in Bremen und verkauft Vasen und Schalen, Gläser und Schmuck, Flakons und Fensterbilder in ihrem kleinen Laden am Buntentorsteinweg.

Glasbläser sitzen im Schwarz- oder Bayerischen Wald. Haben riesige Kamine, in denen flüssiges Glas brodelt. Blasen den Brei mit mannslangen Röhren zu Vasen. Dort, wo die Natur Holz zum Erhitzen und Quarz zur Herstellung von Glas bereit hält, wird Glas in Deutschland auch noch mit der Hand – oder vielmehr mit dem Mund – hergestellt. Denkt man. Glasbläser sitzen aber tatsächlich auch an anderen Orten in Deutschland – in Bremen sogar gleich zwei. Neben dem Laden von Irene Borgardt gibt es noch einen Kunsthandwerker in der Böttcherstraße. Beide stellen den Grundstoff Glas nicht selber her wie die großen Glashütten in Süddeutschland, sondern bekommen ihn in Form verschieden dicker Röhren von Großfirmen geliefert. Und blasen aus diesen Röhren viele filigrane Dinge.

Und das geht so: Irene Borgardt verschmilzt die zwei Enden der Glasröhre über der Flamme zu winzigen Stäben, in der Mitte verbleibt ein größerer Kolben. Durch die dünnen Enden bläst sie den erhitzten Kolben in die gewünschten bauchigen Rundungen und zieht ihn in die Länge – je nachdem, wie hoch das Glas werden soll. Schließlich wird der Kolben an der gewünschten Stelle abgeschnitten – und fertig ist der Glaskörper. Dann muss sie noch Stil und Fuß daran schmelzen, und das Schnapsglas ist bereit fürs Herrengedeck. Die Maße der meisten Gläser hat Irene Borgardt im Gefühl – selten nur noch muss sie nachmessen, wie stark sie den Kolben blasen oder ziehen muss, damit er den anderen Gläsern gleicht.

Die Liebe lockte Irene Borgardt einst nach Bremen. Sie hatte in Darmstadt Glasapparate-Bauerin gelernt. Dort blies sie Spezial-Anfertigungen für chemische und physikalische Versuche – eine Arbeit, bei der die Kolben und Röhren bis auf den Millimeter genau stimmen müssen. Doch schon in der Ausbildung machte sie mal eine Blume aus Glas, mal einen Vase. „Mein Ausbilder rügte mich dann immer: Das ist hier aber nicht unsere Aufgabe“, erzählt die kleine Frau mit den roten Locken und lacht. 1992 zog sie nach Bremen, weil ihr Mann hier studierte. Und machte zwei Jahre später ihren eigenen Laden mit Glaskunst auf – die Glasmanufaktur am Buntentorsteinweg. „An Ideen, was ich aus Glas machen möchte, hat’s mir eigentlich nie gemangelt“, erzählt sie. Sie liebt den Werkstoff, weil man so viel Verschiedenes daraus machen kann: Gebrauchsgegenstände, Schmuck, kunstvolle Statuen.

Der Eierbecher zum Beispioel steht auf zwei gläsernen Füßen: die dünnen Beinchen in eine getigerte Strumpfhose gehüllt, die Füße in dicken roten Glas-Pumps mit grüner Schleife. X-beinig steht der Eierbecher in der Vitrine des lichtdurchleuteten Ladens, leicht verlegen. Neben ihm ein winziger milchiger Parfumflakon, auf dem ein Fisch thront, darunter bauchige Weingläser. Von der Decke hängen Glaskugeln, bunte Glas-Papageien schweben durch die Lüfte. Es gibt viel zu sehen in der Glasmanufaktur, vor allem lustige und liebevolle Details. Doch das Handgemachte hat seinen Preis: 35 Euro kostete beispielsweise der Eierbecher. Geld, das viele Leute nicht mehr investieren wollen. „Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre gab es einen Boom“, sagt Borgardt. „Jetzt merkt man: Gutes Glas gehört zu den Dingen, an denen die Leute als erstes sparen.“ Viele ihrer Kollegen mussten in den vergangenen Jahren ihr Handwerk aufgeben, ihren Laden schließen. Auch Irene Borgardts Glasmanufaktur würde mit dem Laden in der Neustadt alleine nicht überleben. An den Wochenenden bietet sie ihre Produkte auf Kunstmärkten an.

Nein, schlecht seien die Gläser von Ikea nicht. „Und der Trend geht eben hin zur Massenware.“ Wer spart heute schon noch auf ein teures Teeservice oder auf ein Set mundgeblasener Weingläser? Die Kunden von Irene Borgardt sind meist älter. Sie suchen in der Glasmanufaktur ein besonderes Geschenk. Lassen eine alte Lampe reparieren oder die Vase anfertigen, von der sie immer geträumt haben. Oder sind auf der Suche nach seltsamen, vergangenen Dingen wie einer Schnapspfeife. Irene Borgardt fertigt auch das: „Durch die Pfeife trinken ältere Männer ihren Schnaps – damit es ordentlich knallt“. Wer es auch mal ordentlich knallen lassen will oder auf der Suche ist nach durchsichtigen Dingen, findet die Glasmanufaktur Irene Borgardt im Buntentorsteinweg 252.