Migrantinnenprojekte in Berlin sind in Gefahr

Fortbildungsangebote für spezielle Zielgruppen werden drastisch gekürzt. Die Einrichtungen stehen vor dem Ruin

„Wir haben Frauen bei uns, die sind in Deutschland geboren und hier zur Schule gegangen. Doch sie können selbst heute nicht richtig Deutsch, sie wurden nie gefördert, sondern einfach mitgeschleift.“ Bosena Negussi kann diesen Frauen helfen, eine Berufsausbildung abzuschließen. Sie ist Projektleiterin bei „Meslek Evi“ in Kreuzberg. Das Projekt begleitet junge Türkinnen während ihrer Ausbildung zur Arzthelferin, Zahnarzthelferin oder Pharmazieangestellten. Sechs Stunden pro Woche dauert der zusätzliche Unterricht für die bis zu 70 Migrantinnen.

Drastische Kürzungen im Bereich der Förderung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten bedrohen Projekte wie Meslek Evi nun in ihrer Existenz. Das Arbeitsamt teilte mit, dass der Verein keine neuen Teilnehmerinnen mehr aufnehmen darf. „Dabei sollte eine Einrichtung wie unsere Modellcharakter haben“, fordert die Projektleiterin. „Meslek Evi“ begleitet die Azubis bis zu drei Jahre lang, 96 bis 98 Prozent von ihnen schaffen ihre Prüfungen. „Ohne uns hätten sie kaum eine Chance“, sagt Bosena Negussi. „Die meisten von ihnen werden nach der Ausbildung gern übernommen. Sie können bei Patienten und Kunden fremder Herkunft gut vermitteln.“ Ende Juni stehen wieder Prüfungen an. „Wir können uns mit den danach verbliebenen Teilnehmern als Projekt nicht mehr halten“, so Bosena Negussi.

Das Arbeitsamt sieht seit 1. Januar dieses Jahres keine zielgruppenspezifischen Förderungen, wie zum Beispiel die für Migrantinnen, mehr vor. „Wir fördern nicht mehr im Paket“, erklärt Klaus Pohl, Sprecher des Landesarbeitsamts Berlin-Brandenburg. „Es gibt keine Gelder mehr für Fortbildungsmaßnahmen, die nicht zur Arbeit führen.“ Deshalb gibt es die Liste mit „förderbaren Bildungszielen“.

Das Kreuzberger Beratungs- und Ausbildungsprojekt TIO qualifiziert seit sechs Jahren junge Migrantinnen für Büro- und Verwaltungsberufe. Durch die neuen Ausführungsvorschriften der Bundesanstalt für Arbeit sind ihre Fortbildungen für dieses Jahr gestrichen worden. Das Projekt hatte extra umfangreiche Umbaumaßnahmen vorgenommen, die Räume mit Computerschulungsplätzen neu ausgestattet, um die vereinbarte Maßnahme bestätigt zu bekommen. Das finanzielle Risiko trug es selbst. Wegen der neuen Richtlinien konnte das Arbeitsamt jetzt nur eine Absage erteilen. Computerkurse, wie TIO sie anbietet, gehören nicht zu den „förderbaren Bildungszielen“.

Im vergangenen Jahr konnten 68 Prozent der Frauen, die bei TIO an einer Maßnahme teilnahmen, auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz im ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Damit liegen sie jedoch knapp unter der geforderten Erfolgsquote von 70 Prozent. Auch die Dauer und die finanzielle Ausstattung von Fortbildungsmaßnahmen wurden drastisch reduziert. TIO steht damit vor dem finanziellen Ruin. „Das würde die Schließung eines der erfolgreichsten Qualifizierungsprojekte für Migrantinnen in Berlin bedeuten“, so Karin Heinrich vom Verein. Mit dem Problem der Frauen- und Migrantenprojekte will sich heute der Ausschuss für Arbeit, berufliche Bildung und Frauen im Abgeordnetenhaus beschäftigen. JULIANE GRINGER