Streiten gegen Hartz

Die erste Berliner Arbeitslosenkonferenz des DGB war von Streit geprägt. Die Bewegung hat Startschwierigkeiten

Der Saal hat ein bisschen was von einer modernen Kirche. Doch vorne steht keine Kanzel, sondern ein Rednerpult, dahinter eine Frau: die Sprecherin der Arbeitsgruppe 3 – „Sozialabbau durch das Land Berlin“ – auf der 1. Berliner Arbeitslosenkonferenz. Gehalten werden in dem Saal auch keine religiösen Predigten – eher Moralpredigten. „Sittenwidrig“ ist das Wort, das am häufigsten durch den Saal geistert. Sittenwidrig ist die Abschaffung des Sozialhilfetickets, sittenwidrig ist auch, dass jeder nun jeden Job zu jedem Gehalt annehmen soll.

„Das ist doch Zwangsarbeit, das ist doch das Vierte Reich hier!“, ruft es irgendwo aus der Menge der etwa 120 Teilnehmer. „Jawohl, endlich spricht mal einer aus, was wir hier alle denken!“, pflichtet ihm ein Mittdreißiger bei. „Ach, jetzt hört doch auf mit dem Scheiß.“ Das kam von einem älteren Mann. Er wird das noch öfter sagen im Wilhelm-Leuschner-Saal der DGB-Landeszentrale an der Keithstraße. Denn gut ist die Stimmung beim Abschlussplenum der Arbeitslosenkonferenz am Sonnabend nicht gerade. Die Wut auf Staat und auf Firmen, die so viele in die Arbeitslosigkeit entlassen, scheint immer wieder in Aggression gegen die anderen Teilnehmer umzuschlagen. „Ey, du warst gar nicht in unserer Arbeitsgruppe!“, schimpft eine Frau, als jemand es wagt, das Ergebnis ihrer AG zu kommentieren.

Unter den Teilnehmern scheint vor allem eines zu fehlen, was die Konferenz eigentlich einfordert: Solidarität. Das ist ein Lieblingswort von Dieter Scholz, dem Berliner DGB-Vorsitzenden. Er glaubt, ein gesellschaftlicher Lernprozess sei nötig, denn: „Mit Entsolidarisierung kann man eine Gesellschaft nicht verändern.“ Anfangen muss er da bei den Gewerkschaften selbst, das gibt Scholz unumwunden zu: „Überall werden sehr stark Einzelinteressen vertreten.“ Die Arbeit mit Arbeitslosen soll in Zukunft verstärkt zentral koordiniert werden. „Durch die Hartz-Gesetze haben wir starken Zulauf bekommen“, sagt Scholz. Darauf will er aufbauen und die Menschen motivieren, sich in den Gewerkschaften mehr zu engagieren. Die Arbeitslosenkonferenz soll ein erster Schritt sein.

Viel herausgekommen ist dabei nicht – doch das war auch nicht das Ziel. „Wir wollten eine Arbeitskonferenz machen“, sagt Heidi Jockel vom DGB. Das Ganze solle erst einmal in Gang kommen. Eine konkrete Forderung wurde vom Plenum mit nur drei Gegenstimmen akzeptiert. Die „Resolution für bezahlbare Fahrscheine“ fordert ein BVG-Monatssticket für Sozialhilfeempfänger, Erwerbslose, Niedriglohnempfänger und Senioren. Der Preis soll unter 14,08 Euro liegen – denn der Betrag ist im Sozialhilfesatz für Beförderung vorgesehen. FLORIAN OEL