Ärztlicher Auslandseinsatz

Schon mal in einem Krankenhaus gearbeitet, das von einem Zyklon flachgelegt wird? „Ja“, sagt der Bremer Mediziner Michael Hardt. Drei Monate lang arbeitete er als „Arzt ohne Grenzen“ in Angola

taz ■ „In Deutschland hätte man sich um Alle kümmern können.“ Michael Hardt sagt das ganz unaufgeregt. Drei Monate lang arbeitete der 32-jährige Bremer Mediziner für ein Taschengeld in einer von „Ärzte ohne Grenzen“ aufgebauten Ernährungsstation und Klinik in Angola. Auf dem Weg zu einer Impfaktion fährt ein Auto von KollegInnen auf eine Panzermine. Fünf Insassen sind sofort tot, Hardt, der über Funk zur Unfallstelle gerufen wird, ist für neun Verletzte der einzige Arzt. „Ich habe mich um die gekümmert, die noch überleben konnten“, sagt er. Zwei konnten es nicht mehr. „Man muss lernen, damit umzugehen, dass man manche verliert.“

Drei Jahre hat Michael Hardt nach seinem Medizinstudium in Kliniken in Bremen und Hoya gearbeitet. Dann kündigte er, bewarb sich bei Ärzte ohne Grenzen für einen Einsatz: „Ich hab’ den Kick gekriegt.“ Ein Crash-Kurs in Berlin, Ende November schon flog er nach Luanda, der Hauptstadt des 12-Millionen-Einwohner-Landes an der Südwestküste Afrikas. Staatssprache ist Portugiesisch, Hardt spricht immerhin Spanisch. Der ärztliche Auslandseinsatz, sagt er, sei „eine Möglichkeit, Reisen und Beruf in Einklang zu bringen.“

Ein Flugzeug der UNO brachte ihn nach Mavinga, ganz im Südosten. Flüchtlinge ließen die Kleinstadt von 5.000 auf 12.500 Einwohner anwachsen. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat die eigentlich fruchtbare Region zum Hungerland gemacht.

Als das Gebiet befriedet war, richtete Ärzte ohne Grenzen letztes Jahr in ein paar Ruinen eine Ernährungsstation und ein Krankenhaus ein. 18 internationale ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen und 450 einheimische HelferInnen arbeiten dort; mehr als 1.600 Menschen kommen wöchentlich vorbei, um sich eine Extra-Nahrungsration abzuholen: Maismehl, Bohnen, Getreide, Zucker und Öl. Zusammen mit einer weiteren Ärztin kümmerte sich Hardt um die stark Unterernährten, allermeistens Kinder. Hardt behandelte Malaria, Lungenentzündung, Krätze, impfte gegen Masern und sorgte für ausreichend Vitamine und Nahrung. Erste Erfolge sind schon sichtbar: Statt wie anfangs 300 waren Ende Februar, als Hardt nach Deutschland zurückkehrte, nur noch 60 Betten mit stark Unterernährten belegt.

Im Krankenhaus, das die „Ärzte ohne Grenzen“ in der Kleinstadt einrichteten, dienen Zelte als Schlafsäle, im improvisierten OP ohne Röntgengerät, Sauerstoffleitung und Labor wird „nach klinischem Befund“ operiert – auf Deutsch: nach Augenschein und Tastsinn. Ein Zyklon machte eines Tages die Hälfte der Zelte dem Erdboden gleich, und weil die dicken Flieger der Weltgesundheitsorganisation die Piste aufgewühlt hatten, konnte drei Wochen lang kein Nachschub landen.

Gewöhnen musste sich der Arzt auch an Anderes. Da war etwa dieser Vorfall mit der Asthma-Frau. Die hatte einen Anfall, „war nahe dran zu ersticken.“ In Deutschland, ist Hardt sicher, wären in so einem Fall alle nach dem Medikament gerannt – „möglichst schnell“. Die angolanischen MitarbeiterInnen aber gingen in aller Ruhe zum Medizinschrank. Hardt wird noch bei dem Gedanken daran ganz kribbelig. „In der Zeit hätte ich das schon drei Mal selbst gemacht“, entfährt es ihm. In Mavinga aber half nur eines: „Ruhig bleiben“.

Hardt bucht das unter „Erfahrungen“ ab. Und irgendwann wird er sich wieder um einen „Auslandseinsatz“ bewerben: „Das ist schon was Anderes, als wenn man als Backpacker reist.“

Armin Simon