Auf den Rängen wird geklatscht und gebuht

Arbeitsmarktpolitik war gestern Thema im Arbeitsausschuss. Dabei ging es überhaupt nicht so ruhig zu wie gewohnt

„Diese Aussagen kann ich so nicht im Raum stehen lassen. Ich finde es arrogant, wie der Arbeitsamtschef da vorne tut, als träfe ihn keinerlei Schuld.“ Mit diesen Worten verlässt eine junge Frau aus dem Publikum gestern Morgen erzürnt den Sitzungssaal des Ausschusses für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen im Abgeordnetenhaus – bevor die Mitarbeiter sie wegen der Störung hinauswerfen. Bei einer Ausschusssitzung sind Zwischenrufe untersagt, doch sie zeigen die Bestürzung der Betroffenen: Viele junge Frauen und Migrantinnen werden durch das Arbeitsamt nicht mehr speziell gefördert. Dies ist auch erster Tagesordnungspunkt: Die Folgen der Kürzungen der Bundesanstalt für Arbeit für die soziale Infrastruktur Berlins, insbesondere bei Frauen- und Migrantenprojekten. Karl Peter Fuß, Vizepräsident des Landesarbeitsamts soll dazu Klartext sprechen.

Doch erst muss sich Fuß der Kritik der Parteien stellen. Wirtschaftssenator Harald Wolf bemängelt, der Übergang von den alten Regelungen zu künftigen Richtlinien der Arbeitsämter bei der Förderung von Qualifizierung und Weiterbildung liefe „unvorbereitet und unkontrolliert“ ab. Seit 1. Januar 2003 werden nur noch Bildungsziele gefördert, die eine Vermittlungsquote in den Arbeitsmarkt von über 70 Prozent aufweisen können. Das führe zu einer kritischen Situation in Berlin, so Wolf. „Die Infrastruktur der Träger ist gefährdet. Über Reformierung kann man reden, aber man darf nicht so resolut vorgehen.“ Wolf werde auch bundespolitisch aktiv werden.

Ausschussmitglied Petra Hildebrandt (SPD) stellt fest, dass für viele Betroffene diese Reformierung eine Tragödie bedeute. Auf eine SPD-Anfrage hin klatschen die Gäste hinten im Saal sogar Beifall, bevor dies wieder untersagt werden muss. Sibyll Klotz, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, fordert vom Landesarbeitsamt einen Nachweis dafür, dass die aktuellen Maßnahmen von oben angeordnet und nicht im Alleingang entworfen worden sind. „Für die momentane Situation kann man Herrn Hartz nicht verantwortlich machen“, erklärt sie.

Landesarbeitsamtsvize Fuß bestätigt, dass es gelte, „Übergänge flüssig zu machen und Verwerfungen zu glätten.“ Er weist den Vorwurf zurück, dass seine Ämter ungesetzlich vorgingen. Die Weisungen, nach denen er sich gerichtet habe, gebe es schriftlich. Aus Nürnberg habe es die Vorgabe gegeben, Kosten einzusparen. Die Förderung der beruflichen Weiterbildung, wie sie bis jetzt existiert, bezeichnet er als „verrottet“. „Wir haben 600 Millionen investiert, nur 55 Prozent der Teilnehmer konnten vermittelt werden. Ein Gegensteuern war erforderlich.“

Dass die Bildungsträger jetzt plötzlich realisieren sollten, was die Arbeitsämter zehn Jahre lang falsch gemacht hätten, kritisiert Carola Freundl (PDS). Peter Kurth (CDU) fragt sich, wieso man erst jetzt auf die Probleme aufmerksam werde: „Fast ein Jahr lang wurde Hartz wie eine Heilserwartung durchs Land getragen. Wie alles in die neue Struktur passt, damit hat man sich nicht beschäftigt.“

Fuß kündigt an, er sei zu Verhandlungen bereit. „Ich bin seit anderthalb Jahren in Berlin mit Hartz und seinen Folgen unterwegs – ich dachte, man wusste, worauf es zugeht.“ Anfang des Jahres habe er sich mit 50 Bildungsträgern der Stadt getroffen und ihnen „in 45 Minuten die neue Situation geschildert“. Dann wären alle aufgestanden und gegangen. Karl Peter Fuß geht daher davon aus, dass alle mit den neuen Regelungen einverstanden gewesen wären. Im Saal macht sich empörtes Gemurmel breit. JULIANE GRINGER