Finanzkrise

Abgetaucht

Ich kenne sie nicht, ich mag sie nicht, aber jetzt ist sie da. Eilmeldungen auf „Spiegel Online“, Politikerstatements, sogar auf meiner letzten Party war sie plötzlich dabei. Die Börse. Der euphorisch gefeierte Pop-Star, der auf einmal zum Sozialfall wird. Das zumindest sagen mir die sorgenvollen Gesichter und Stimmen der Kommentatoren. Ich habe keine Aktien und kein Geld, ich habe keine Ahnung von Wirtschaft. Ich gehe abtauchen, schwimmen, den langen Tag am Schreibtisch vergessen. Und den Kontostand.

Vollmond über Friedrichshain, laue Herbstluft. Fledermäuse umschwirren die Laternen am SSE, der Schwimmhalle am Europapark. Wo ist der Eingang? Ein Junge weist mir den falschen Weg. Die drei Männer, die ihre Hunde neben dem rasenbewachsenen Dach des Velodroms ausführen, grinsen freundlich und sächseln: Hätten Sie mal uns Ältere gefragt! Da lang geht’s! Ein Labrador wälzt sich genüsslich im Gras, sein Fell hat dieselbe Farbe wie die Pilze, die dort sprießen.

Der Klotz, die Schwimmhalle, ist innen so atmosphärisch wie eine Kreuzung aus Krankenhaus und Kühlschrank. Ich ziehe meine Bahnen. An einem Ende halten sich Männer am Beckenrand fest und unterhalten sich. 1. Bahn: Die Rettungspakete der Regierungen, der Bankencrash. Das regelmäßige Atmen tut gut. 7. Bahn: Wenn eine Bank schon das eigene Kapital verzockt, wie geht sie dann erst mit dem Geld der Kunden um? Meine Schwimmbrille beschlägt, der Nebel gefällt mir. 15. Bahn: „Die Börsen einfach ein, zwei Wochen zumachen!“ Ich lege mich ins pisswarme Kleinkinderbecken, der Länge nach, Kopf unter Wasser. Die Stimmen der anderen klingen nun wie eine Radiosendung auf Hindi. Die Frequenz gefällt mir ziemlich gut. MIRIAM JANKE