„Alle Rüstungsprojekte blieben Stückwerk“

Der deutsche Boeing-Manager und frühere Berater von Helmut Kohl, Horst Teltschik, hält eine EU-Rüstungsagentur für dringend notwendig. Er zweifelt jedoch, ob die nationalen Regierungen und Rüstungsfirmen dazu bereit sind

taz: Herr Teltschik, die EU-Kommission hat schon vor über fünf Jahren die Gründung einer europäischen Rüstungsagentur vorgeschlagen. Die nationalen Regierungen haben dies damals abgelehnt. War die Kommission ihrer Zeit voraus?

Horst Teltschik: Ja, eindeutig. Eine gemeinsame europäische Rüstung macht schließlich nur dann Sinn, wenn man auch eine eigene europäische Verteidigungspolitik verfolgt. Diese wird jedoch erst in diesem Jahr mit der Aufstellung einer 60.000 Mann starken Eingreiftruppe Realität.

Die Rüstungsagentur scheiterte jedoch auch an nationalen Interessen …

Großbritannien und Frankreich haben immer großen Wert auf eine nationale Rüstungsindustrie gelegt. London hatte Sonderbeziehungen zu den USA, erhielt von dort rüstungstechnisches Know-how, das die anderen EU-Staaten nicht hatten. Und diesen Vorteil wollten die Briten natürlich nicht aufgeben. Frankreich war stets nur an den Hightech-Bereichen interessiert, den technologisch weniger interessanten Rest überließ man gern den anderen Staaten.

Inzwischen gilt eine Rüstungsagentur schon fast als Allheilmittel für die Probleme der EU-Verteidigungspolitik. Zu Recht?

Den EU-Staaten ist klar geworden, wie knapp die Mittel für ihr Militär geworden sind. Daher wäre es ein Riesenfortschritt, wenn es der Agentur gelänge, Forschung und Entwicklung zu vergemeinschaften. Ob die Regierungen aber dazu bereit sind – daran habe ich große Zweifel. Außerdem stellt sich die Frage, woher das Geld für die Agentur kommt. Aus dem Haushalt der Union oder von den Nationalstaaten. Vereinheitlicht werden müsste auch die Rüstungsexportpolitik. Großbritannien, Frankreich und Italien haben sehr viel liberalere Richtlinien als Deutschland. Und schließlich stellt sich die Frage, ob die Europäer unter sich bleiben können. Die US-Firmen haben durchaus Interesse an einer gemeinsamen Entwicklung von modernen Waffensystemen, denn diese ist sehr aufwendig. Allerdings müsste sich dafür auch die US-Regierung bewegen. Bisher ist sie beim Export ihrer modernsten Technologie sehr restriktiv.

Wird eine Agentur nicht am Widerstand der nationalen Rüstungsbetriebe scheitern, die sich auch bisher gegen mehr Wettbewerb auf ihrem Markt gewehrt haben?

Nicht nur die Deutschen, auch die Franzosen, Briten und sogar die Schweden produzieren ihren eigenen Panzer. Das ist natürlich völlig unsinnig, zumal man ja immer weniger Panzer braucht. Eine Kooperation wäre also notwenig. Zugleich kämpfen die deutschen Rüstungsfirmen ums Überleben. Weil sie immer weniger Aufträge von der Bundeswehr bekommen, fallen sie beim Know-how zurück und verlieren ihre Spezialisten. So wird nun europaweit der Kampf um den Einfluss in der Agentur beginnen. Da wird es Gewinner und Verlierer geben. Außerdem ist die Industrie natürlich immer skeptisch, wenn eine staatliche Behörde in die Wirtschaft eingreift. Wenn die Betriebe den Eindruck haben, sie können Einfluss auf die Agentur ausüben, werden sie mitmachen. Im anderen Fall werden sie sie blockieren. Und das wäre dann auch der Tod der Agentur.

Gibt es eigentlich Beispiele für eine effektive europaweite Zusammenarbeit von Rüstungsbetrieben?

Der Airbus ist sicher eine Erfolgsstory, aber nur, weil in der Startphase hohe staatliche Subventionen flossen. Doch alle anderen Rüstungsprojekte blieben Stückwerk. Da sprangen immer wieder Staaten ab, andere bestellten weniger Flugzeuge als geplant. Immer war zu wenig Geld da.

Wenn die Agentur funtioniert – entsteht dann ernsthafte Konkurrenz für die US-Rüstungsindustrie?

Auf absehbare Zeit nicht. Die US-Industrie ist in der technologischen Entwicklung meilenweit voraus. Die US-Verteidigungsausgaben wurden im letzten Jahr um eine Summe erhöht, die dem gesamten deutschen Verteidigungshaushalt entspricht. Die Europäer müssen fürchten, immer weiter zurückzufallen und so immer abhängiger von den USA zu werden.

Anders ausgedrückt: Die Agentur reicht nicht aus, Deutschland muss mehr Geld für Verteidigung ausgeben?

Daran führt kein Weg vorbei. Nach dem Kosovokrieg beschlossen alle Nato-Staaten die Entwicklung neuer Waffensysteme, hinzu kamen die Entscheidungen für die Eingreiftruppen von EU und Nato, schließlich wollte man auch noch die Bundeswehr reformieren. Wer aber Entscheidungen trifft, muss auch wissen, wie er sie finanziert. Hier ist bei der Bundesregierung überhaupt kein Konzept zu erkennen. Alles ist Stückwerk, da kann man noch so viele Agenturen gründen.
INTERVIEW: SABINE HERRE