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jazzkolumneDie Rückkehr des Politischen

„Fables of Faubus“, jene große Ausnahme, bei der die Verschränkung Musik plus Politik funktioniert

In den Konzerten der Mingus Big Band vor dem 11. September 2001 wurden fast selbstverständlich die Missstände des New Yorker Polizei-Regimes thematisiert. Staatlich legitimierte Folterungen und Todesschüsse in den Suburbs gehörten zur Tagesordnung, die „No Tolerance“ Polizei-Politik des New Yorker Bürgermeisters Giuliani brachte kurzzeitig auch Jazzmusiker auf die antirassistische Refuse & Resist-Bühne.

Die Mingus-Komposition „Fables of Faubus“, gegen den Politiker Orval Faubus getitelt, der 1957 als Gouverneur in Little Rock, Arkansas, versuchte, die gesetzlich verankerte Integration weißer und schwarzer Schulen zu verhindern, wurde von der Mingus Big Band später in „Fables of Giuliani“ umbenannt. Faubus hatte damals die Nationalgarde gerufen, um ein paar schwarze Kinder am Betreten integrierter Schulen zu hindern. Als Charles Mingus das Stück 1959 für seine Platte „Mingus Ah-Um“ aufnehmen wollte, winkte seine damalige Plattenfirma Columbia ab. Weder wurde in den Liner Notes thematisiert, was es mit dem Song auf sich hatte, noch ließ man Mingus seinen Text rezitieren, singen und schreien: „Faubus, warum ist er so krank und lächerlich?“ Die volle Version gab es erst unter dem Titel „Original Fables of Faubus“ auf der Platte „Charles Mingus Presents Charles Mingus“, die er 1960 zusammen mit dem Saxofonisten Eric Dolphy für das Label Candid aufnahm.

In seiner „Sozialgeschichte des Jazz“ (Zweitausendeins) beschreibt Ekkehard Jost verschiedene Ansätze, wie Jazzmusiker mit politischen Themen umgegangen sind. Dabei fällt vor allem auf, dass die Musik dem revolutionären Anliegen nur in den seltensten Fällen nahe kam. Oft blieb einfach das Gefühl, man habe jene Titel mit den eindeutigen politischen Botschaften den Instrumentalstücken erst nachträglich gegeben. Und so war es in vielen Fällen auch. Dass in den Sechzigern politisierte Jazzmusiker ihre Kompositionen und Improvisationen mit Kampfparolen zierten, zielte vor allem auf die Plattenkäufer und den DJ, der die Stücke im Radio ansagte.

Die „Original Fables of Faubus“-Version ist eine jener großen Ausnahmen geblieben, bei der die Verschränkung Musik plus Politik funktioniert. Der afroamerikanische Saxofonist James Carter weist jetzt darauf hin, dass das schwarze Amerika kurz vor dem 11. September mit einer baldigen Ablösung Giulianis rechnete. Dass er dann kurz darauf an der Seite Bushs zum nächsten All American Hero stilisiert wurde, habe die afroamerikanische Community um Jahre zurückgeworfen. Mit einer aktuellen Version von „Strange Fruit“ auf seiner CD „Gardenias For Lady Day“ (Columbia) fordert Carter nun das politische Engagement der aktuellen afroamerikanischen Jazzszene. Er zieht die Linie von Billie Holiday und Mingus zu Gil Scott-Heron und Public Enemy, um an der politischen Bewusstwerdung der schwarzen Community mitzuwirken.

Im Sommer 1959 starb Holiday. Die merkwürdigen Früchte, die in ihrem Song „Strange Fruit“ von den Bäumen hingen, waren menschliche Körper. Die Körper amerikanischer Schwarzer. Die Sängerin Betty Carter sagte später, „Strange Fruit“ habe das dringende soziale Problem des vergangenen Jahrhunderts thematisiert, es sei Anklage und Warnung zugleich gewesen, „Schluss mit der Lynchjustiz!“ war nur die eine Message dieses großen Songs. Wie bei „Fables of Faubus“ wollte das Columbia-Label „Strange Fruit“ 1939 nicht veröffentlichen, das Lied kam schließlich bei dem kleinen linksorientierten Plattenlabel Commodore Records heraus. Das von dem weißen jüdischen Lehrer Abel Meeropol für Holiday geschriebene Stück gilt als der erste Song des Civil Rights Movement, der Schlagzeuger Max Roach bezeichnet ihre Version noch heute als revolutionäres Statement.

Im Februar 1958 spielte der Saxofonist Sonny Rollins mit Max Roach eine längere Instrumental-Collage unter dem Titel „The Freedom Suite“ ein, doch blieb beim Anhören der Session ebenjenes Gefühl, dass die Musik dem ambitionierten Titel eher zufällig untergemogelt worden war.

Im September 1960 nahmen die Sängerin Abbey Lincoln und Max Roach den Faden wieder auf. Von der konzeptionellen Stimmigkeit her war „We Insist! Max Roach’s Freedom Now Suite“ dann auch wesentlich konsequenter angelegt. Die von Abbey Lincoln vorgetragenen Texte stammten von Oscar Brown jr., der sich jedoch während der Vorbereitungen zu diesem Projekt mit Max Roach zerstritt, weil er Martin Luther King jr. glaubwürdiger fand als den von Max Roach favorisierten Malcolm X. Einen Monat vor den Aufnahmen zur „Freedom Now Suite“ hatte Elijah Muhammad, der damalige Führer der Black Muslims, zur Gründung eines schwarzamerikanischen Staats aufgerufen, eine bis heute aktuelle Forderung der schwarznationalistischen Bewegung.

Mitte der Siebzigerjahre verschwand der politische Jazz aus der öffentlichen Wahrnehmung. Wenige Jahre zuvor hatte Archie Shepp noch mit seiner kürzlich wiederveröffentlichten Platte „Attica Blues“ (Impulse!) einem größeren Publikum politische Inhalte näher bringen wollen. Und selbst wenn die Kritik von Jost greift, dass dies offenbar nur ging, indem man dem Free Jazz abschwor und mit Mitteln der schwarzen Popmusik hantierte, überwiegt retrospektiv doch der Respekt vor einer, sagen wir mal, Spielhaltung, die mit den heute gängigen Codes des etablierten Jazz kaum mehr zu fassen ist.

CHRISTIAN BROECKING

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