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Henkersmahlzeit in der Ecke

Am Ende eines langen Weges warten Hirschrahmbraten, Burgunder und Nachschub

Ein Mann aus G. fasste den Entschluss, seinem Leben am nächsten Tag ein Ende zu setzen. Die Gründe tun nichts zur Sache, der Lebensmüde hatte genug. Weniger klar war ihm, wie er die Sache bewerkstelligen sollte. Lange saß er in seiner Kammer und ging mit sich zu Rate.

Verhungern kam nicht in Frage, er aß einfach zu gern. Für den Strick und die Idee, sich mittels einer Plastiktüte zu ersticken, fehlte ihm der Schneid. Das Ertränken verbot sein ästhetisches Empfinden. Eine Wasserleiche ist schließlich eine Wasserleiche und kein Zierfisch, überlegte unser Mann, der von Haus aus ein rücksichtsvoller Zeitgenosse war und niemanden mit dem aufgequollenen Gewebeteig, in den sich sein Corpus unweigerlich verwandeln würde, belästigen mochte. Seine Verwandtschaft nicht und schon gar nicht wildfremde Menschen, denen die unansehnliche Masse ja eines Tages mit großer Wahrscheinlichkeit entgegendümpeln musste.

Aus ähnlich philanthropischen Erwägungen verwarf der Lebensmüde das Aufschneiden der Pulsadern, einen Sprung vor die S-Bahn, den Fenstersturz und den Schuss in die Mundhöhle. Der sei zwar so final wie schmerzfrei, hatte er einem kriminologischen Standardwerk entnommen, mache aber auch eine Menge Dreck, weil selbst bei sachgerechter Ausführung das Platzen des Schädels kaum zu vermeiden und die Hirnmasse – nein, das wollte er sich lieber gar nicht erst ausmalen.

Also Gift, seufzte der Lebensmüde. Eine saubere Sache: kein Blut, kein verschmutzter oder verrutschter Anzug, nur ein wenig Schweiß und die Züge gefroren in Halbtrauer. Der ganzen mausetoten Erscheinung würde etwas entrückt Friedvolles, irgendwie Tröstliches, ja ein Stück Restwürde anhaften, wie er von einer Stieftante väterlicherseits wusste, die es unter der Kanzlerschaft Georg Kiesingers im Lüneburgischen als Gattenmörderin in vier Fällen zu lokaler Berühmtheit gebracht hatte.

Blieb das Problem der Substanz. Der Lebensmüde war kein Fachmann, sondern einfacher Prokurist und entsprechend ratlos. Arsen, Zyankali, Curare? Ein Gift, das sich auf die Lungen legt, oder doch lieber ein schnelles Toxikum, welches krampfartig die Darmflora verwüstet? Da er zu keinem Ergebnis kam, beschloss er die Frage bei einer späten Brotzeit im Wirtshaus um die Ecke zu bedenken, zumal, und bei diesem Gedanken umspielte ein melancholisches Lächeln seine dünnen Lippen, jedem zum Tode Verurteilten eine Henkersmahlzeit zusteht. Er fand auch gleich einen freien Tisch in der hinteren Ecke, bestellte Hirschrahmbraten, Rotkraut und Apfelkompott und ließ sich einen Flasche Burgunder kommen. Während der Lebensmüde den Braten hastig und in großen Brocken hinunterschlang, grübelte er weiterhin, auf welche Art der leidige Suizid zu packen sei. „Unkraut-Ex, das würde meinem verpfuschten Leben die Krone aufsetzen“, fluchte er halblaut.

„Das würde dir die Gedärme auf recht langwierige und unerfreuliche Weise zerreißen“, hörte der Mann plötzlich einen Generalbass brummen. Er blickte sich erschrocken um. Hinter ihm saß ein rotnasiger Alter, der lustig mit dem rechten Auge zwinkerte, sein Glas ergriff und an den Tisch des Lebensmüden humpelte. „Ich darf doch“, fragte er. Ehe unser Mann antworten konnte, zwängte sich die voluminöse Gestalt ihm gegenüber in die Eichenbank. Der Alte lächelte, sagte aber nichts. Der Lebensmüde zerkaute verlegen ein Stück Hirsch, naschte lustlos am Kompott und rief schließlich nach der Rechnung. „Oh nein“, sprach da der Fremde, „erst nehmen wir noch eine Flasche Roten.“ Willenlos fiel der Lebensmüde in den Sitz zurück. „Ich heiße Gott und weiß alles“, fuhr der Alte fort und schenkte nebenbei kräftig nach. Dann schwieg er wieder. Als die Flasche leer war, bestellte er eine neue. Dann noch eine, dann zwei Wodka, wieder Rotwein, zwei Cognac, vier Doppelkorn und schließlich einen Flasche Tequilla. All das wurde mehr oder weniger wortlos verklappt. Ab und an wünschte der trinkfeste Greis „Wohl bekomm’s“, aber das war’s auch schon. Viel zu sagen hatten sich Herr Gott und der mittlerweile randvolle Lebensmüde wirklich nicht. Weit nach Mitternacht sprach der Alte: „Komm, Winfried, nun wird es Zeit zu gehen.“ Der Lebensmüde dachte noch, woher kennt der Pflaumenaugust bloß meinen Namen, machte sich darüber aber keinen Kopf, denn der war weiß Gott – hier musste er zum ersten Mal seit Wochen herzlich lachen – schwer genug. Gott lachte mit, lud sich Winfried erstaulich behände auf die Schultern und verschwand in der Nacht. Der Wirt indess wurde bleich, als er beim Abkassieren Winfrieds Arm berührte und der Gast leblos zu Boden plumpste. „Alkoholvergiftung“, stellte der Notarzt nüchtern fest. „Ach Gott“, dachte der Wirt, „eigentlich ein schöner Tod.“ MICHAEL QUASTHOFF

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