Die Mafia und ihr Staat

Während der Herrschaft von Slobodan Milošević etablierte sich die Mafia in Serbien. Das Attentat zeigt: Ihre Macht ist ungebrochen

BELGRAD taz ■ Die Geschichte der serbischen Mafia beginnt Anfang der Neunzigerjahre mit Slobodan Milošević. Als sich der Krieg im ehemaligen Jugoslawien abzeichnete, eilten plötzlich vom Patriotismus besessene serbische Unterweltler aus aller Welt nach Hause, um für Serbien und das serbische Volk zu kämpfen. Politiker wie Vuk Drašković und Vojislav Šešelj, oder der von Interpol wegen Bankraub und Totschlag gesuchte Zeljko Raznatovic „Arkan“ organisierten und bildeten ihre eigenen Privatarmeen aus, die von Berühmtheiten aus der Unterwelt angeführt wurden. Die „Serbische Garde“, „Weiße Adler“, „Tiger“ und wie sie sonst hießen, wurden von der jugoslawischen Armee mit Waffen versorgt, ausgebildet und im Krieg eingesetzt. Als Gegenleistung durften sie ihre Geschäfte machen.

Bald begann sich jedoch die Opposition in Serbien gegen das absolutistische Regime aufzulehnen. Milošević musste einsehen, dass die gut bewaffneten und organisierten „harten Burschen“ auch ihm selbst gefährlich werden könnten. Wer ihm Treue schwor, wurde also in das Staatssystem eingebunden. Die anderen wurden liquidiert. Der berüchtigte Freischärlerkommandant Arkan behauptete sich und wurde zeitweilig der einzige mächtige Mafiaboss von Serbien. Das Regime akzeptierte seine Millionengeschäfte mit Zigaretten- und Erdölschmuggel. Als Arkan allmächtig schien, wurde auch er umgebracht. In der Folge traten viele kleinere kriminelle Organisationen aus seinem Schatten.

Nach einem Jahrzehnt Krieg, Wirtschaftsembargo und internationaler Isolation unter Milošević’ Herrschaft war die hauchdünne Trennlinie zwischen Polizei, Justiz und Mafia kaum wahrzunehmen. Der ganze Staatsapparat war korrupt, als einzige Tugend galt die Treue zu Milošević. Die Polizei befasste sich lediglich mit Taschendieben und den „kleinen Fischen“ – von den „großen“ wurde sie ja bezahlt.

Diesen Zustand schwor Zoran Djindjić nach der Wende in Serbien im Jahr 2000 mit radikalen Mitteln zu ändern. Doch Jahre vergingen, und der energische Premier tobte, weil die Reformen der Justiz und der Polizei so langsam vorankamen. Die tief in allen Staatsstrukturen verwurzelte kriminelle Nomenklatur wehrte sich. Die Polizei konnte keine Resultate vorweisen, die unzähligen Anschläge aus der Milošević-Ära wurden nicht aufgeklärt. Kein Wunder: Diese gleiche Polizei und der Staatssicherheitsdienst waren für die meisten Morde verantwortlich.

Allen voran Milorad Luković, genannt „Legija“, Kommandant der berüchtigten, als „Red Berets“ bekannten Spezialeinheit der Polizei. Man vermutet, dass Legija an der Spitze des nach Arkans Tod mächtigsten Mafiaclans aus der Belgrader Vorstadt Zemun stand. Dieser Clan begann zuerst mit breit angelegtem Autodiebstahl, genoß jedoch, wie es heißt, Polizeischutz. Zigaretten, Rauschgift, Erdöl, Prostitution und illegalen Waffenhandel warf ihm Serbiens Vizepremier Žarko Korać vor. Der Clan sei die bestorganisierte und größte kriminelle Organisation auf dem Balkan. Nur wenige Stunden nach dem tödlichen Anschlag auf Premier Djindjić gab die serbische Regierung bekannt, dass Legija und 23 andere Mitglieder des „Clans aus Zemun“ für das Attentat verantwortlich seien. Der Clan wurde des weiteren beschuldigt, insgesamt für fünfzig Morde verantwortlich zu sein, acht davon nach der Wende in Serbien, sowie unzählige Entführungen.

Wer jedoch Legija & Co verhaften soll, das hat die serbische Regierung nicht bekannt gegeben. Legijas Männer sind kriegserfahren, bestens militärisch ausgebildet und mit modernsten Waffen schwer bewaffnet. Obwohl es Djindjić zu Lebzeiten noch geschafft hat, die „Red Berets“ dem Kommando des Sicherheitsdienstes zu entziehen und direkt der serbischen Regierung zu unterstellen, ist es fragwürdig, ob die Kampfbrüder nicht immer noch auf ihren ehemaligen Kommandanten Legija hören.

Man geht davon aus, dass nur eine Sondereineheit der Armee – wie die Fallschirmjägerbrigade aus Niš – mit Legijas Leuten eventuell abrechnen könnte. Wenn man eine findet, die bereit ist, sich mit Legija anzulegen. Und die bereit wäre, schwere Verluste in Kauf zu nehmen. ANDREJ IVANJI