Der Wahn der Krankheit

Ein Stück hochkomische Literatur, dass beinahe nie den Weg in die Buchläden gefunden hätte: Heute Abend liest Frank Schulz bei zweitausendeins in den Colonnaden aus seinem Buch „Morbus fonticuli“

von Eberhard Spohd

Frank Schulz war „fertig mit Jack und Büx“. Da hatte er fünf Jahre lang an seinem Buch Morbus fonticuli gearbeitet, und kaum war es erschienen, damals, im September 2001, da war es auch schon wieder vom Markt verschwunden. Der Züricher Haffmans Verlag musste Insolvenz anmelden, und das Schweizer Konkursamt stoppte die weitere Auslieferung des Werkes.

Doch gerade diese unglückliche Geschichte löste den großen Erfolg des Buches aus. Die großen Medien stürzten sich darauf, Rezensionen erschienen in der Süddeutschen Zeitung ebenso wie in der Neuen Züricher. Schulz war in aller Munde mit seinem Phantombuch, an das keiner mehr herankam. Der Eichborn Verlag kaufte die Rechte und verlegte es neu, inzwischen hat zweitausendeins eine günstige Volksausgabe herausgebracht, die zu „einem unserer meist verkauften Bücher“ geworden ist, wie Mitarbeiter Axel Winzer sagt.

Nichts anderes hat Frank Schulz verdient. Morbus fonticuli ist ein hinreißender Hamburg- und Heimatroman im besten Sinn geworden. Bodo Morten, von seinen Freunden Mufti genannt, erfindet sich eine Krankheit, eben Morbus fonticuli, die Fontanellenkrankheit, und versucht, sich in einem Wäldchen nahe seines Heimatdorfs bei Stade in der Erde zu vergraben. Was ihn dazu treibt, beschreibt Schulz anhand von dessen Tagebuch auf über 500 Seiten: Die Intellektuellen-Ehe mit Anita, mit der im Bett nichts mehr läuft. Seine sexuellen Eskapaden mit Bärbel, eine proletenhafte Floristin aus dem Süderelberaum, und der Umgang mit ihrer grenzdebilen Verwandtschaft. Die Arbeit als Redakteur beim Elbe-Echo, einem Anzeigenblatt. Und natürlich der Alkohol.

Wie Schulz diese Geschichte erzählt, weist ihn als großen Sprachkünstler aus. Jede Figur bekommt ihren eigenen Tonfall zugewiesen, charakterisiert sich über ihr Sprechen. „Das ist mein Anspruch an meine Figuren“, sagt Schulz, „das ist meine Art zu schreiben.“ Und die bringt, trotz des leidenden Helden, Spaß. Schulz entwickelt Motive, verknüpft sie und führt sie aus, er legt skurrile Nebenhandlungen an und belebt sie mit einem Sammelsurium von Personen, die den schlimmsten Alpträumen eines Linksintellektuellen entstammen könnten. Mit Morbus fonticuli schrieb er ein Stück hochkomische Literatur.

Letztlich bringt diese seltsame Krankheit den Helden dann ins Sanatorium. Mufti entwickelt eine Theorie des Lochs und glaubt, dass alles Schlimme dieser Welt durch die Fontanellen in den Kopf eindringt. Beim Säugling sind die Spalten im Schädel noch geöffnet und schließen sich im Laufe des Lebens. Strahlung, so Mufti, ließen sie aber allemal noch durch. „Mufti versucht, sämtliche Außenangriffe zu bündeln, sie als Angriffe auf seine Individualität zu werten“, sagt Schulz von seinem Helden, „alle Scheiße dieser Welt wird in dieser Krankheit fassbar gemacht“. Darum versucht er, sich in die Erde zu bohren, um die größtmögliche Abschottung vor der Strahlung zu erreichen: „Mufti hat den Eindruck, dass seine Probleme gelöst wären, wenn er sich im Wald seiner Kindheit vergrübe“ Dass das in den Wahn führt, ist klar.

Morbus fonticuli ist übrigens der zweite Teil einer Trilogie. Am dritten Band arbeitet Schulz zurzeit, der erste Band, Kolks blonde Bräute, ist seit langem vergriffen. Nicht einmal antiquarisch ist der Band um Kolk und seine spezielle Heimat – das Bier – erhältlich. Da trifft es sich doch prächtig, dass zweitausendeins auch dieses Buch im April wiederveröffentlichen möchte. Die Fans des Autors warten schon lange darauf.

Lesung: heute, 20 Uhr, zweitausendeins, Colonnaden 9, 20 Uhr; im Vorprogramm: Wolfgang Herrndorf liest aus In Plüschgewittern